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Nicht mehr von USA abhängig «Zu einer Aufrüstung Europas gibt es keine Alternative»

Die EU-Kommission will die Verteidigungsausgaben massiv ankurbeln. Was das bringt und wo die Probleme liegen.

Darum geht es: Die Haltung von US-Präsident Donald Trump im Ukrainekrieg zeigt: Europa muss und will sich und seine Verbündeten selbst verteidigen können – unabhängig von US-Hilfen. So hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Plan zur Wiederaufrüstung Europas vorgeschlagen. Bereits am Montag sagte sie: «Wir brauchen eine massive Stärkung der Verteidigung. Wir wollen dauerhaften Frieden, aber der kann nur auf Stärke aufgebaut werden, und Stärke beginnt damit, dass wir uns selbst stärken.»

800-Milliarden-Euro-Plan für Aufrüstung

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Die EU-Kommission will für eine Erhöhung der nationalen Verteidigungsausgaben die EU-Stabilitätskriterien lockern. Das schlug Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor. Zudem soll es einen neuen Fonds im Volumen von 150 Milliarden Euro geben, um die 27 Mitgliedstaaten bei Investitionen in die Verteidigung zu unterstützen. Insgesamt könnten dadurch Finanzmittel in Höhe von 800 Milliarden Euro mobilisiert werden, sagte von der Leyen. (reu)

Die Finanzierung ist das eine, das andere ist die Frage: Ist Europa überhaupt fähig, die Aufrüstungsmaschinerie so schnell in Gang zu bringen? Was braucht es? Und kann sich Europa überhaupt ohne die Hilfe der USA gegen Russland wehren?

Wie beschrieben.
Legende: Ein Mann arbeitet an einem APC-Fuchs-Panzer in der Rheinmetall-Produktionsstätte im deutschen Kassel für militärische Ausrüstung für die Bundeswehr, die Polizei und die Ukraine. REUTERS/Kai Pfaffenbach

Das braucht es: Laut dem Rüstungsexperten Christian Mölling besteht der grösste Bedarf in der Flugabwehr und der Möglichkeit, mit Raketen mit langer Reichweite zum Beispiel russische Stellungen tief im russischen Hinterland anzugreifen und Raketen zu zerstören. Grundsätzlich könne die europäische Rüstungsindustrie alles produzieren, was Europa brauche – bis vielleicht auf strategische Atom-U-Boote. «Sie tut es allerdings nicht in einer ausreichenden Menge», was den aktuellen Bedarf betreffe. So bestünden die Defizite in der Luftverteidigung und Flugabwehr nicht wegen des technologischen Know-hows, sondern wegen der Produktionskapazitäten. Dies, weil die Produktion der Luftverteidigung in den letzten Jahrzehnten in Europa wegen mangelnder Nachfrage massiv heruntergefahren worden sei.

Es fehlt die Masse, nicht die Klasse.
Autor: Christian Mölling Rüstungsexperte

Hier liegen die Probleme: Die Produktionskapazitäten könnten vielleicht innerhalb eines halben Jahres aufgestellt werden – allerdings bräuchten die Unternehmen für den Aufbau von neuen Produktionslinien auch die Sicherheit, dass sie ihre Investitionen zurückerhielten, führt Mölling aus. «Das Problem, das dazukommt, ist: Es braucht in den Produktionshallen Menschen, die die Produkte zusammenschrauben können.» Das heisst, Arbeitskräfte müssen angelernt und trainiert werden.

Frau baut ein Auto zusammen bei Volkswagen.
Legende: Bald Waffen statt Autos zusammenbauen? Mitarbeitende bei Volkswagen in Wolfsburg. REUTERS/Fabian Bimmer

Hier liegen die Chancen: Gute Voraussetzungen für diese Stellen dürften aus der angeschlagenen deutschen Industrie kommen, sagt der Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Hans Christoph Atzpodien. «Was das Personal angeht, so haben wir ja die Situation, dass aufgrund der Umstellung zur Elektromobilität der Personalbedarf in der Automobil- und Auto­mobil­zu­liefer­industrie eher nach unten geht. Und dieses Personal können wir auch von der Ausbildung und der Qualifikation her gut in der Rüstung brauchen.»

Und die Schweiz?

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Die Aussicht auf volle Auftragsbücher sowie steigende Verteidigungsausgaben europäischer Länder treiben die Börsenkurse der Rüstungsunternehmen europaweit in die Höhe. So ging etwa die Aktie des Rüstungskonzerns Rheinmetall am Montag durch die Decke.

Schweizer Rüstungsunternehmen profitierten allerdings nicht vom Verteidigungswettlauf, warnt der Rüstungsexperte des Verbands Swissmem Matthias Zoller. Ein Grund sei das Kriegsmaterialgesetz und das darin festgehaltene Wiederausfuhrverbot: «Erstens ist es so, dass je länger je mehr europäische Staaten gemeinsam Rüstungsgüter beschaffen, mit dem Sinn, dieses dort in den Einsatz zu bringen, wo es gebraucht wird. Wenn sie aber das Rüstungsgut vom Land A ins Land B transferieren wollen und erst den Schweizer Bundesrat fragen müssen, kauft man natürlich dann einfach nicht mehr in der Schweiz ein. Und der zweite Grund ist: Wenn ein Nato-Staat in einem Konflikt ist, alle Nato-Staaten als solches angeschaut werden und darum nicht mehr beliefert werden dürfen.»

So steht es um die Eigenständigkeit Europas: Die Abhängigkeit von den USA sei dennoch nicht zu unterschätzen, gibt Rüstungsexperte Christian Mölling zu bedenken. «Europa ist ohne die USA nicht verteidigungsunfähig, aber es kann die Aufgaben nicht in gleichem Masse wahrnehmen wie mit den USA.»

Das bedeute im Umkehrschluss, dass europäische Soldaten ein viel grösseres Risiko eingingen, wenn sie nicht die Aufklärungstechnologie der USA nutzen könnten, die dabei helfen würde, Gefahren am Boden schnell zu erkennen. «Alles, was mit Digitalisierung und Aufklärung sowie Datenverarbeitung zu tun hat. Da sind die Europäer schlechter aufgestellt – was aber nicht bedeutet, dass sie in dem Bereich nichts können.» Zu einer Aufrüstung gibt es laut Mölling aber keine Alternative.

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10 vor 10, 3.03.2025, 21:50 Uhr ; 

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