Mit rund vierzig Insolvenzen in acht Jahren könnte man meinen, Benoît (Name geändert) sei ein energetischer Unternehmer ohne Erfolg. Er hat Unternehmen in verschiedenen Bereichen geleitet: Bauwesen, Malerei, Gipserei, Karosseriearbeiten, Transport und so weiter.
In Wirklichkeit hat der Walliser nie in diesen Firmen gearbeitet. Er war dort als Strohmann tätig, auch «Totengräber» genannt. Hinter ihm konnten die wahren Geschäftsführer den Bankrott verbergen.
RTS hat seit 2016 fast 50'000 Unternehmensliquidationen in der Schweiz analysiert. Laut den Recherchen verursachten rund vierzig Personen innerhalb von acht Jahren zwischen 10 und 50 Insolvenzen und meldeten allein für rund 700 Unternehmen Konkurs an.
Hunderte Verdachtsfälle
Eine Insolvenz allein ist nicht illegal. Wenn sie sich aber innerhalb kurzer Zeit häufen, ist es verdächtig. «Es ist eindeutig ein Indikator für Betrug. Jedoch können wir betrügerischen Konkurs nicht sofort erkennen», erklärt Nicolas Cruchet, ein Waadtländer Staatsanwalt, der mehrere «Totengräber» strafrechtlich verfolgt hat. Erst die Zunahme der Fälle macht Betrug sichtbarer.
Die Könige der Scheinliquidationen wie Benoît sind wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Laut der RTS-Recherche haben über 170 Personen in acht Jahren mindestens fünf Insolvenzen verzeichnet.
Ähnliche Masche
Der Betrug läuft oft gleich ab. Zunächst verkauft ein Kleinunternehmer sein taumelndes Unternehmen an einen Strohmann, der dann als alleiniger Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen wird. Anschliessend verlegt Letzterer den Hauptsitz des Unternehmens, um seine Spuren zu verwischen und die Schulden zu verbergen und überlässt das Unternehmen dann sich selbst. Einige Monate später wird es liquidiert.
Der ehemalige Chef entkommt so seinen Schulden und wahrt seinen Ruf. Er gründet ein neues Unternehmen und setzt seine Tätigkeit fort. Dafür zahlt der Unternehmer dem Strohmann, der die Schulden erbt, ein paar Tausend Franken. Die Entschädigung scheint gering, aber sie ist das Merkmal eines «Totengräbers»: Sie hat nichts zu verlieren und wird niemals in der Lage sein, das Geld zurückzuzahlen.
Ein Rentner mit Schuldenbergen
RTS hat einen dieser «Totengräber», Benoît, ausfindig gemacht. Der gelernte Mechaniker ist heute im Ruhestand. In den sozialen Netzwerken präsentiert er sich in Anzug, mit schönen Autos und Ferien am Meer. In Wirklichkeit lebt der 78-jährige Walliser in einem bescheidenen Studio und hat mittlerweile 500'000 Franken Schulden.
RTS hat versucht, ihn zu kontaktieren, jedoch ohne Erfolg. Fakt ist: Hinter dieser Figur steckt ein ganzes Betrugssystem mit mehreren Komplizen. Und zahlreichen Opfern.
Die Opfer: die Angestellten und der Staat
Oft zahlen die Firmeninhaber ihren Angestellten keine angemessenen Löhne und können damit die Preise drücken. Bevor ihre Firma schlussendlich Konkurs geht und sie diese an einen Strohmann verkaufen, häufen sich in der Regel Steuerschulden sowie Schulden bei den Sozialversicherungen. In dieser Zeit erhalten die Angestellten oft auch keinen Lohn mehr. Die Arbeitslosenkasse übernimmt. Neben den Arbeitnehmenden ist somit in vielen Fällen das Hauptopfer: der Staat und damit die Steuerzahler.