Im Mai 2017 errang die damalige CVP-Bundesrätin Doris Leuthard einen ihrer grössten politischen Siege, als das Volk ihre Energiestrategie 2050 mit 58 Prozent der Stimmen annahm. Damit wurde auch der schrittweise Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. «Der Ausstieg aus der Kernenergie ist historisch», sagte sie damals.
Ich denke, dass man nach mittelfristigen Lösungen suchen sollte und nicht nach Lösungen, die vielleicht erst 2050 in Kraft treten.
Heute ist das Erbe von Doris Leuthard bedroht. Ende August sprach sich der Bundesrat für eine Aufhebung des Atomkraftverbots aus und zog den Bau neuer AKW in Betracht. «In einer Demokratie hat man immer das Recht, alle Entscheidungen zu revidieren», sagte Doris Leuthard gegenüber RTS. «Ob das intelligent ist, ist eine andere Frage».
«Es gibt weniger riskante Alternativen», fährt die Alt-Bundesrätin fort. Ihr zufolge wäre es sinnvoller, auf erneuerbare Energien zu setzen. «Der Klimawandel ist Realität und die erneuerbaren Energien sind ziemlich preiswert», erklärt sie. «Also denke ich, dass man nach mittelfristigen Lösungen suchen sollte und nicht nach Lösungen, die vielleicht erst 2050 in Kraft treten».
«Viele Unsicherheiten»
Die aktuelle Kehrtwende beunruhigt Doris Leuthard jedoch nicht. Für sie sind noch viele Fragen offen. «Ich sehe viele Unsicherheiten, daher bleibe ich eher gelassen», sagte sie.
Laut Doris Leuthard stellt sich auch die Frage der Finanzierung. Einige Anbieter sind nämlich der Meinung, dass neue Kernkraftwerke nicht rentabel wären. BKW weist darauf hin, dass Kraftwerke der heutigen Generation nur direkt vom Staat oder mit hohen staatlichen Subventionen gebaut werden könnten. «Die finanziellen, regulatorischen und politischen Risiken wären beim derzeitigen Stand der Dinge zu hoch», sagt die Axpo.
Wahl des Volkes
Am Ende müsse die Entscheidung nach neuen Atomkraftwerken beim Schweizer Volk liegen, erinnert Doris Leuthard. «Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Schweizerinnen und Schweizer vernünftig sind», fügt sie hinzu.
Die ehemalige CVP-Bundesrätin, die ihre politische Karriere vor sechs Jahren beendet hat, betrachtet die Situation nun als Aussenstehende. «Es ist nicht mehr meine Entscheidung», sagt sie und gibt dennoch zu, dass es nach mehr als zwölf Jahren im Bundesrat manchmal schwierig sei, ruhig zu bleiben.
«Natürlich bleibt man politisch engagiert», räumt sie ein. «Manchmal ärgert man sich über Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen, das ist normal. Aber ich versuche, mich nicht mehr einzumischen», fährt Doris Leuthard fort, die aber auch versichert, dass sie eine Rückkehr in den Bundesrat nicht in Betracht zieht.