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Kernenergie Das Geister-AKW: Als Österreich Atomstrom ablehnte

Während in der Schweiz das älteste Kernkraftwerk der Welt steht, hat unser Nachbar Österreich noch nie Atomenergie produziert. Ein Atomkraftwerk gibt es dennoch. Es wurde in den 70er-Jahren nahe Wien erbaut, aber nie benutzt. Das österreichische Volk lehnte seine Inbetriebnahme ab.

Die Kernkraft ist in der Schweiz gerade wieder in den Schlagzeilen. Kürzlich gab das Stromunternehmen Axpo die Schliessung der beiden Beznau-Reaktoren für 2032 und 2033 bekannt. Und vor einigen Monaten hat Bundesrat Albert Rösti die Debatte über den Bau weiterer Kraftwerke neu entfacht.

Im Aargau soll schon 2026 ein neuer Atomreaktor getestet werden

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Der Prototyp des Atomreaktors von Copenhagen Atomics soll bereits Ende 2026 in der Schweiz getestet werden. Das Paul-Scherrer-Institut (PSI) und das dänische Unternehmen planen den Betrieb in der Gemeinde Villigen AG, wie die «Sonntagszeitung» schreibt. Der Betrieb eines solchen Reaktors zu Forschungszwecken ist demnach in Dänemark verboten, in der Schweiz hingegen erlaubt.

Der kleine Reaktor soll ab 2030 seriell hergestellt und in alle Welt verkauft werden. Er könne im Vollbetrieb rund 80'000 Haushalte mit Strom versorgen, hiess es weiter. Der Reaktor nutzt geschmolzenes Salz als Brennstoff und soll besonders sicher sein. Kritiker warnten dennoch vor möglichen Risiken, da es sich um ein experimentelles Projekt handelt.

Unsere österreichischen Nachbarn wollen von Atomkraft im eigenen Land nichts wissen. Und dennoch steht in der Kleinstadt Zwentendorf, am Ufer der Donau, ein Kernkraftwerk. «Atomfriedhof» trifft vielleicht eher zu. Das Westschweizer Fernsehen RTS konnte die riesige Brache besuchen.

Das Geisterkraftwerk Zwentendorf

«Für mich war es Liebe auf den ersten Blick, als ich vor mehr als 25 Jahren zum ersten Mal dieses Kernkraftwerk betrat», sagt Stefan Zach. Er ist Sprecher des Energieversorgers EVN, dem das Werk heute gehört. Zach ist gleichzeitig auch quasi der Hausherr des AKW Zwentendorf. «Die Atmosphäre der 1970er-Jahre hat mich fasziniert und seitdem nicht mehr losgelassen», sagt er.

Das Gebäude ist ein wahres Labyrinth aus Gängen und 50 Jahre alter Technik. Heute bietet die EVN Führungen durch das einzige Atomkraftwerk Österreichs an.

Schutzlos über dem Reaktorkern

«Ich mag die Stille hier», sagt der EVN-Sprecher. «Gleichzeitig hat dieses Gebäude eine ganz besondere Akustik. Es gibt richtige Echokammern.» Zach lehnt über einer Brüstung. «Da unten ist der Atomreaktor. Wir können uns hier gefahrlos aufhalten, was in einem aktiven Kraftwerk nicht möglich ist.»

Atomkraftwerk Zwentendorf

Besuchende, die das Kraftwerk auch heute noch besichtigen, benötigen keinen Strahlenschutz, da die Anlage nie in Betrieb war.

Referendum gegen Atomenergie

«1978 war eigentlich alles bereit, um das Kernkraftwerk in Betrieb zu nehmen», sagt Stefan Zach. «Aber das österreichische Volk hat sich anders entschieden.»

Damals gingen Atomkraftgegnerinnen und -gegner auf die Strasse und protestierten gegen die Inbetriebnahme des Kraftwerks. Unter dem Druck der Bevölkerung organisierte der damalige österreichische Bundeskanzler ein Referendum. Das Ergebnis fiel denkbar knapp aus. Letztlich stimmten 50.47 Prozent Nein.

Österreichs grösste Investitionspleite

Insgesamt wurde eine Milliarde Euro in die Anlage investiert, ohne dass auch nur eine einzige Kilowattstunde Strom produziert wurde. Ursprünglich hätte das AKW Zwentendorf 1.8 Millionen Haushalte versorgen sollen.

Die Geschichte des Kraftwerks wird manchmal als der grösste Investitionsfehler in der österreichischen Geschichte oder auch als die grösste Industrieruine des Landes angesehen.

Genutzt wird das Kraftwerk seit seiner Stilllegung dennoch. Es wurde in ein Ausbildungszentrum für Nuklearfachleute aus der ganzen Welt verwandelt. Und auch die Öffentlichkeit kommt in Scharen, um die Geisterfabrik zu besichtigen.

Für den jetzigen Eigentümer des Geländes, das Elektrizitätsunternehmen EVN, kommt ein Rückbau nicht infrage. «Diese Anlage wird ein Denkmal für die damalige Kerntechnik bleiben», so Stefan Zach.

SRF 4 News, 19.12.2024, 12 Uhr

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