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Kernergie in der Schweiz Bundesrat Rösti und die Energiepolitik – zurück zum Atomstrom?

2017 beschloss die Schweiz den Atomausstieg. Dass der Bundesrat diesen nun infrage stellt, überrascht viele. Dabei hat Albert Rösti nie ein Geheimnis gemacht aus seiner Haltung. «Wir brauchen für eine sichere Stromversorgung längerfristig alle Technologien», sagte er schon im März 2024.

Als Albert Rösti Ende August 2024 vor die Medien trat und verkündete, der Bundesrat wolle die Möglichkeit schaffen, in Zukunft wieder Atomkraftwerke zu bauen, war das für viele ein Schock.

Denn knapp drei Monate zuvor hatte der Energieminister die Abstimmung zum Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien mit beinahe 70 Prozent Ja-Stimmen klar gewonnen.

Die strategische Marschrichtung schien also klar: volle Kraft voraus für die Erneuerbaren. Doch dann brachte SVP-Bundesrat Rösti plötzlich wieder die Kernkraft als Option ins Spiel.   

Bundesrat Rösti ist kein unbeschriebenes Blatt

Albert Rösti sagt im Interview mit SRF, er sei «kein Fan von Kernkraft». Er sei vielmehr ein Pragmatiker, dessen Verantwortung als Energieminister es sei, eine sogenannte Mangellage zu verhindern, das heisst: Sicherstellen, dass es immer genug Strom gibt.

Gleichzeitig ist Albert Rösti in Sachen Kernkraft kein unbeschriebenes Blatt: Er hat sich vor seiner Wahl in den Bundesrat im Dezember 2022 immer dafür ausgesprochen und war ab 2014 Präsident der «Aktion für eine vernünftige Energiepolitik Schweiz», kurz AVES. Das war ein atomfreundlicher Lobby-Verein, der 2018 auf nationaler Ebene aufgelöst wurde. 

«Leider nicht gelungen», Energiestrategie 2050 zu verhindern 

In seiner Rolle als Bundesrat machte Albert Rösti ebenfalls kein Geheimnis aus seiner energiepolitischen Haltung, insbesondere zur Atomkraft.

Im März 2024 warb er an der Delegiertenversammlung der SVP für ein Ja zum Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien. Dabei erinnerte er daran, dass er als Parteipräsident die Energiestrategie 2050, die 2017 den Atomausstieg besiegelte, an vorderster Front versucht habe zu verhindern. Und weiter: «Wir brauchen für eine sichere Stromversorgung längerfristig alle Technologien.» Mit anderen Worten auch die Atomkraft. 

Alt Bundesrätin Doris Leuthard meldete sich zu Wort

Die Energiestrategie 2050 und mit ihr der Atomausstieg ist ein Teil des politischen Vermächtnisses von Doris Leuthard, die 2018 aus dem Bundesrat zurücktrat, nachdem sie dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) während acht Jahren vorgestanden hatte.

Leuthard reagierte nicht auf eine Interviewanfrage der Sendung «DOK», äusserte sich aber im September 2024 in «La Matinale» von RTS zu Albert Röstis Plänen, den Neubau von Kernkraftwerken wieder zu ermöglichen, folgendermassen: «In einer Demokratie hat man immer das Recht, auf alle Fragen zurückzukommen. Ob das intelligent ist, ist eine andere Frage.» Eine Aussage, die bei Albert Rösti auf wenig Verständnis stösst.

Bundesrat regiert auf Initiative «Blackout stoppen»

Dass Albert Rösti ausgerechnet Ende August 2024 offiziell verkündete, er wolle die Atom-Option wieder auf dem Tisch haben, erklärt sich mit der sogenannten Initiative «Blackout stoppen», die im Frühling 2024 zustande gekommen ist und Ende August im Bundesrat beraten wurde.

Diese will in der Bundesverfassung festschreiben: «Die Stromproduktion hat umwelt- und klimaschonend zu erfolgen. Alle klimaschonenden Arten der Stromerzeugung sind zulässig.» Auch Atomkraft soll also wieder zulässig sein.  

Der Bundesrat lehnt diese Initiative ab, aber er will noch in diesem Jahr einen indirekten Gegenvorschlag dazu erarbeiten – und im Zuge davon das Neubauverbot von Kernkraftwerken kippen.  

Energiebranche braucht Planungssicherheit

Der Ausbau der Erneuerbaren werde derweil nicht infrage gestellt, betont Albert Rösti. Das sehen viele anders. Anstatt den Druck auf den Ausbau der Erneuerbaren nun zu erhöhen, tue der Bundesrat das Gegenteil: Indem er auf deren schleppenden Ausbau verweise und die Atom-Option wieder ins Spiel bringe, schaffe er Unsicherheit. Die Energiebranche brauche aber strategische Klarheit. Und damit Planungssicherheit. Albert Rösti weist dies zurück. 

In den vergangenen Jahren habe sich die Situation auf dem Strommarkt und in der Energiepolitik grundlegend verändert, stellte Albert Rösti Ende August fest. Die Schweiz strebe bis 2050 Netto-Null-Emissionen an, was den vollständigen Ersatz fossiler Energien durch klimaschonenden Strom erfordere.

Verbunden mit dem Bevölkerungswachstum steige dadurch der Strombedarf. Zudem sei man ursprünglich davon ausgegangen, fehlenden Strom mit Gaskraftwerken zu ersetzen, was aufgrund des Netto-Null-Zieles nicht mehr möglich sei.

Und schliesslich habe sich mit dem Krieg in der Ukraine die geopolitische Lage verändert, weswegen nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass jederzeit genug Strom importiert werden könne.  

Artikel 12a soll gestrichen werden

Diese Analyse findet breite Zustimmung. Die Schlüsse, die Bundesrat Rösti daraus zieht, dagegen nicht. Er will eine Änderung des Kernenergiegesetzes (KEG). Konkret geht es um den Artikel 12a, in dem steht: «Rahmenbewilligungen für die Erstellung von Kernkraftwerken dürfen nicht erteilt werden.»

Dieser Artikel war eingefügt worden nach der Volksabstimmung zur «Energiestrategie 2050», die 2017 eine klare Mehrheit fand und den Ausstieg aus der Kernenergie beinhaltete und auf den Ausbau der Erneuerbaren setzte.  

Emotionale Debatte erwartet

Das Uvek will dem Bundesrat bis Ende 2024 eine Anpassung im Kernenergiegesetz vorlegen, die Vernehmlassung soll bis Ende März 2025 dauern. Danach wird das Parlament die Initiative und den Gegenvorschlag beraten.

Falls Rösti auch dort eine Mehrheit findet, ist es so gut wie sicher, dass das Referendum dagegen ergriffen wird und schliesslich wieder das Volk entscheiden wird, ob neue AKW möglich sein sollen. Es sei eine emotionale Debatte zu erwarten, sagt der Politikwissenschaftler Michael Hermann. 

Klar ist: Beznau 1 und 2 werden bis 2032 beziehungsweise 2033 definitiv abgeschaltet, das gab die Axpo am 5. Dezember 2024 bekannt. Damit fällt mittelfristig eine substanzielle Menge Strom weg. Der Zubau der Erneuerbaren muss nun stark forciert werden. Oder es braucht mehr Importe. Und langfristig? Die Schweizer Energiepolitik steht am Scheideweg.

SRF 1, 12.12.2024, 20:10 Uhr

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