Der Kanton Tessin diskutiert aktuell darüber, ob er wieder eine Liste säumiger Krankenkassenzahler einführen soll.
Laut einer Analyse des Tessiner Fernsehens RSI gibt es in der Schweiz derzeit nur fünf Kantone mit einer solchen «schwarzen Liste»: Tessin, Luzern, Zug, Aargau und Thurgau. Vier weitere Kantone – Graubünden, St. Gallen, Schaffhausen und Solothurn – haben sie abgeschafft. Die restlichen Kantone kannten sie nie.
«Der Kanton Wallis hat sich bewusst gegen eine schwarze Liste entschieden, weil wir die möglichen Folgen als gravierend erachten», erklärt Mathias Reynard, Leiter des Departements für Gesundheit im Wallis, gegenüber RSI. «Die Einstellung der medizinischen Versorgung würde die gesamte Familie betreffen. Diese Konsequenzen wären unmenschlich.»
Schwarze Liste: Ein wirksames Druckmittel?
Befürworter der Liste argumentieren, dass sie als Abschreckung diene, um die Zahl der Nichtzahler zu reduzieren. Doch ist das wirklich der Fall?
Auf Anfrage von RSI sagt Michaela Tschuor, Gesundheitsdirektorin des Kantons Luzern: «Wir haben die Liste im November ausgesetzt und wollen sie abschaffen. Sie kostet uns fast eine Million Franken pro Jahr, reduziert die Zahl der säumigen Zahler nicht und widerspricht wichtigen ethischen Grundsätzen.»
Auch der Bundesrat hat sich mehrfach gegen schwarze Listen ausgesprochen.
Entzug medizinischer Versorgung als Strafe?
Die Nationale Ethikkommission für Humanmedizin äusserte sich 2023 in einem unverbindlichen Gutachten zur ethischen Problematik der schwarzen Liste. Die stellvertretende Vorsitzende Samia Hurst-Majno betont: «Der Entzug medizinischer Versorgung als Strafe ist unangemessen und unverhältnismässig. Er widerspricht dem Ziel des universellen Zugangs zur Gesundheitsversorgung.»
Befürworter der Liste argumentieren, dass Notfallbehandlungen weiterhin garantiert seien. Doch Hurst-Majno hält das für unzureichend: «Der Begriff der Dringlichkeit in der Medizin ist weit weniger eindeutig, als man denkt. Ein notwendiges medizinisches Verfahren kann dringend sein, auch wenn der Patient nicht unmittelbar daran stirbt.»
Falls das Tessin die schwarze Liste reaktiviert, soll dies unter den gleichen Bedingungen wie vor der Pandemie geschehen – mit Fokus auf Personen, die zahlen könnten, aber nicht zahlen. Hurst-Majno sieht darin eine problematische Unterscheidung: «Der Unterschied zwischen Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsunwilligkeit wird oft nicht gemacht, da er schwer objektiv festzustellen ist. Ein depressiver Patient könnte als zahlungsunwillig eingestuft werden, obwohl er in Wirklichkeit zahlungsunfähig ist.»
Aktuell prüft die Gesundheits- und Sozialkommission des Tessins das Dossier. «Wir befinden uns in der Schlussphase der Evaluierung», erklärt Daniele Caverzasio, Präsident der Kommission. «Es ist wahrscheinlich, dass das Thema bald im Grossen Rat behandelt wird.»
Die Kantonsregierung hat sich ebenfalls für die Wiedereinführung ausgesprochen.
Die offenen Schulden für nicht bezahlte Krankenkassenprämien belaufen sich im Tessin auf 20 Millionen Franken pro Jahr. National belaufen sich die Kosten auf fast 400 Millionen Franken pro Jahr.