«Das Leid der Vertriebenen in Kongo ist unbeschreiblich», sagt Angèle Dikongué-Atangana. Die Vertreterin des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) in Kongo ist besorgt: «Zu sagen, dass unsere humanitäre Hilfe unterfinanziert ist, ist eine Untertreibung.» Die Krise dort wird von NGOs als eine der am stärksten vernachlässigten Krisen der Welt bezeichnet. Drei Jahrzehnte Konflikte haben gemäss der UNO rund 8 Millionen Todesopfer gefordert. Fast 7 von rund 100 Millionen Menschen im Land seien Binnenvertriebene. Nicht mitgerechnet: 2 Millionen, die zwischen Vertreibung und Rückkehr leben.
Von den benötigten 300 Millionen US-Dollar Hilfsgeldern kamen bis 2023 nur rund 41 Prozent zusammen.
Weltweit sind viele Kriseneinsätze unterfinanziert. Der Klimawandel und die neuen Konflikte führen zu einem Anstieg des humanitären Bedarfs. Pandemie und Ukraine-Krieg belasteten die Budgets der wichtigsten Geberländer zusätzlich.
Vergessene Krisen
Im Fall Kongo spricht man von einer «vergessenen Krise», deren Unterfinanzierung wegen fehlender Medienpräsenz verstärkt wird.
«Das Land durchlebt seit Jahrzehnten einen latenten Konflikt. Diese Dauer ist problematisch, weil die Aufmerksamkeit verloren geht», sagt Valérie Gorin, Expertin für humanitäre Kommunikation an der Universität Genf.
Ein weiterer Faktor für die unterschiedliche Behandlung von Krisen ist die geografische und ideologische Nähe zu Europa und den USA, den wichtigsten Gebern des UNO-Hilfssystems. Daher seien laut Gorin die humanitären Pläne für die Ukraine und die von Israel besetzten palästinensischen Gebiete die am besten finanzierten.
Schwierige Entscheidungen
In Afghanistan sind die Finanzierungsquellen versiegt. Mitte Dezember deckte das Budget kaum 40 Prozent der benötigten vier Milliarden ab. Die humanitäre Lage hat sich seit der Machtübernahme der Taliban verschlechtert, die Wirtschaft brach zusammen. Und es kamen mehrere Naturkatastrophen hinzu.
Ein Drittel von insgesamt 15 Millionen Menschen leidet unter akuter Ernährungsunsicherheit. Bis 2023 erhielten zwei Drittel keine «lebenswichtige Hilfe» des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP).
Methoden anpassen
Auch in Myanmar hat sich in zwei Jahren der Bedarf an humanitärer Hilfe verdreifacht.
«Wir stellen einen Rückgang der Finanzierung fest. Es wird immer schwieriger, langfristige Gelder zu erhalten», bestätigt Julia Rees, stellvertretende Vertreterin des UNO-Kinderhilfswerks (UNICEF) in Myanmar.
UNICEF musste daher die Orte ausfindig machen, wo die am stärksten gefährdeten Menschen sind, und mit lokalen Akteuren zusammenarbeiten, die an schwer zugänglichen Orten Unterstützung leisten können.
Ein System, dem die Luft ausgeht
Der weltweite Bedarf an humanitärer Hilfe wird für 2024 auf 46 Milliarden US-Dollar geschätzt. Das ist zwar weniger als 2023, aber fast 20-mal mehr als vor zwanzig Jahren.
Das derzeitige Hilfssystem – das weitgehend vom Westen dominiert wird – muss sich laut Gorin anpassen und sich gegenüber aufstrebenden Gebern wie beispielsweise China oder Indien öffnen.