Lastwagen haben Hilfsgüter für die Zivilbevölkerung und Medikamente für die israelischen Geiseln in den Gazastreifen gebracht. Möglich machte das eine Übereinkunft zwischen Israel und der terroristischen Hamas, für die auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) vermittelt hat. IKRK-Präsidentin Mirjana Spoljaric Egger ist derzeit am World Economic Forum (WEF) in Davos, wo der Krieg in Nahost eines der grossen Themen ist.
SRF News: Sind die Hilfslieferungen und Medikamente mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein?
Mirjana Spoljaric Egger: Wir haben uns von Anfang an dafür eingesetzt, dass die Medikamente geliefert werden. Wir waren mit allen Parteien dauernd im Gespräch. Ich bin selber nach Doha gereist. Wir fordern, dass die Geiseln versorgt werden mit den medizinischen Mitteln, die sie brauchen. Wir kennen die Bedürfnisse der Familien. Die Parteien kennen die Bedürfnisse. Wir hoffen, dass die Medikamente wirklich die Geiseln erreichen werden. Auf der anderen Seite hoffen wir, dass sich die medizinische Versorgung für die Bevölkerung in Gaza allgemein verbessern wird. Ich habe ein Spital besucht und damals schon gesagt: Das, was ich in diesem Spital gesehen habe, werde ich vermutlich nie mehr vergessen.
Sie sagten nach Ihrem letzten Besuch im Dezember, dass die Situation jeden Tag schlimmer werde. Wie ist die Situation heute?
Würdevolle humanitäre Hilfe ist nicht möglich. Wir können nicht das leisten, was die Bevölkerung braucht: nicht im medizinischen Bereich, nicht beim Zugang zu Wasser, nicht beim Zugang zu Nahrung. Wir müssen im Moment davon ausgehen, dass der grössere Teil der Bevölkerung Hunger und Durst leidet.
Wir können bei weitem nicht sicherstellen, dass die Kinder alle versorgt sind.
Sie haben beim Besuch eines Spitals schwer verletzte und verstümmelte Kinder gesehen. Kinder, die beide Eltern verloren haben. Wissen Sie, wie es diesen Kindern geht?
Wir haben ein Ärzteteam im Spital, das ich besucht hatte. Es arbeitet rund um die Uhr bis zur Erschöpfung. Wir können bei weitem nicht sicherstellen, dass die Kinder alle versorgt sind. Ich höre dasselbe von unseren Partnern, die vor Ort unterstützen. Es ist wirklich mittlerweile ein Tropfen auf den heissen Stein.
Der israelische Aussenminister Eli Cohen hat das IKRK kritisiert, es würde zu wenig für die Geiseln im Gazastreifen tun. Was sagen Sie dazu?
Ich bin nicht einverstanden mit dieser Aussage und das weiss er auch. Damit wir Geiseln besuchen oder eine Freilassung unterstützen können, braucht es eine Einigung zwischen den Parteien über die Modalitäten. Wenn wir nicht wissen, wo die Geiseln sind oder wer sie uns wann übergibt, können wir nichts machen.
Öffentlich zu sagen, dass es unsere Schuld ist, wenn nichts passiert, ist zu kurz gegriffen.
Der Zugang zu Geiseln ist nicht weniger kompliziert als ihre Freilassung. Die Kriegsparteien sind in der Pflicht, uns unsere Arbeit zu ermöglichen. Öffentlich zu sagen, dass es unsere Schuld ist, wenn nichts passiert, ist zu kurz gegriffen.
Das Gespräch führte Sebastian Ramspeck.