Es sind tragische Bilder, die uns in diesen Tagen aus der Türkei und Syrien erreichen. Das Erdbeben, das sich dort am vergangenen Montag ereignete, hat bereits über 21'000 Todesopfer gefordert. Allein in der Türkei sind über 18'300 Menschen gestorben, die Bergungsarbeiten dauern an.
Das Erdbeben mit der Stärke 7.8 hat man auch in der Schweiz aufgezeichnet, wie der Schweizerische Erdbebendienst an der ETH Zürich (SED) mitteilte. Im Gespräch sagt SED-Direktor Stefan Wiemer, welche Schäden ein Erdbeben einer realistischen Grössenordnung in der Schweiz ausgelöst hätte. Eines vorneweg: Dass sich hierzulande ein Beben mit Stärke 7.8 ereignet, sei «nicht zu erwarten», so der Professor für Seismologie.
SRF News: Das Erdbeben in Syrien und der Türkei bewegt. Können Sie uns helfen, die Grössenordnung zu verstehen?
Stefan Wiemer: Gehen wir von einem Erdbeben der Stärke 7 aus. Wenn wir in diesem Beispiel das Epizentrum in Luzern platzieren, würde man die Auswirkungen in der ganzen Schweiz spüren. So würden auch in Zürich oder Bern Gebäude beschädigt, Schornsteine herunterfallen oder gar Zwischenwände einstürzen. Die grössten Auswirkungen hätte das Beben aber natürlich im Raum Luzern.
Einige Tausend Person dürften sterben, mehrere Zehntausend wären verletzt.
Insgesamt gehen wir dann von Sachschäden von 30 bis 50 Milliarden Franken aus, je nach Verlauf der Bruchzone. Einige Tausend Personen dürften zudem sterben, mehrere Zehntausend wären verletzt. Zahlreiche Gebäude wären im Epizentralgebiet zusammengestürzt und Zehntausende beschädigt und unbewohnbar. Es muss dabei immer berücksichtigt werden, wie dicht das Gebiet bebaut ist und welche Bauart die Gebäude haben. Insbesondere Gebäude, die vor 1989 gebaut wurden, wären gefährdet, denn damals wurden die ersten Baunormen für eine erdbebengerechte Bauweise implementiert.
Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?
Es liegt im Promillebereich. Wir gehen davon aus, dass in der Schweiz ein Erdbeben der Magnitude 7 etwa alle 500 bis 1500 Jahre vorkommt. Es gibt jedoch Orte in der Schweiz, die anfälliger sind. Zu nennen sind die Kantone Wallis, Graubünden und Luzern, das St. Galler Rheintal oder die Region Basel. Dort hat es auch das bisher grösste historisch dokumentierte Erdbeben in der Schweiz gegeben – nämlich im Jahr 1356 mit der Stärke 6.6.
Wie häufig kommt es zu solchen Schadensbeben?
Grundsätzlich gilt: Je kleiner die Erdbeben, desto häufiger sind sie. In der Schweiz haben wir pro Jahr etwa 1000 Erdbeben der Magnitude 0.1 oder grösser. Die allermeisten sind nicht spürbar. Gleichzeitig heisst dies natürlich auch, dass Erdbeben seltener eintreten, je stärker sie sind.
Das Risiko, hierzulande in einem Erdbeben zu sterben, ist im Vergleich zu anderen Risiken gering. Problematisch wären vielmehr die Kosten, welche verursacht würden.
Nehmen wir das tragische Erdbeben, welches sich diese Woche in Syrien und der Türkei ereignet hat. Dass ein solches in der Schweiz passiert, ist praktisch ausgeschlossen. Ein Schadensbeben mit einer Magnitude von ungefähr 6 ist in der Schweiz und den angrenzenden Gebieten hingegen alle 50 bis 150 Jahre zu erwarten.
Kann die Bevölkerung vor Erdbeben gewarnt werden?
Nein, dazu gibt es keine Möglichkeit. Ein Erdbeben ereignet sich innert Sekunden und ist ebenso schnell wieder vorbei. Zwar gibt es etwa in den USA oder Japan Frühwarnsysteme. Diese sind aber nur in der Lage, wenige Sekunden vor dem Eintreffen der schadenbringenden Wellen eine Warnung an etwas vom Epizentrum entfernte Gebiete zu geben.
Das Risiko, hierzulande in einem Erdbeben zu sterben, ist jedoch im Vergleich zu anderen Risiken gering. Problematisch wären vielmehr die Kosten, welche verursacht würden. Der wirtschaftliche Schaden wäre enorm.
Das Gespräch führte Pascal Studer.