Die Rettung von Menschen in Syrien bleibt auch drei Tage nach dem Erdbeben eine Herausforderung. Der Zugang zu Hilfe für die Erdbeben-Opfer gestaltet sich schwierig. Es mangelt an Ausrüstung für die Bergung, der Zugang in bestimmte Gebiete ist erschwert.
Das Bürgerkriegsland ist nicht ausgelegt für eine Katastrophe dieses Ausmasses. «Die Infrastruktur ist miserabel, die politische Lage unübersichtlich. Das Katastrophengebiet geht über die Frontlinien hinweg», nennt SRF-Auslandredaktor Philipp Scholkmann einige der Schwierigkeiten. Ein weiteres Problem: Bei der Verteilung von Hilfsgütern stützen sich die Hilfswerke normalerweise auf lokale Partner. Doch diese sind nun selbst betroffen.
Zur Unterstützung der nur schwer erreichbaren Opfer in Nordwesten Syriens trafen indessen zumindest sechs Lastwagen mit Hilfsgütern der Vereinten Nationen ein. Die Transporter seien aus der Türkei gestartet und hätten den einzigen noch offenen Grenzübergang Bab al-Hawa passiert, hiess es von der UNO.
Die meisten der existierenden Grenzübergänge wurden im Zuge des syrischen Bürgerkriegs für Hilfslieferungen der UNO geschlossen. «Russland hat sich als Verbündeter Assads gegen mehr offene Grenzübergänge gewehrt. Der russische Standpunkt war, alle Hilfe in Syrien müsse über das Regime Assad in Damaskus laufen. Alles andere verstosse gegen die Souveränität von Syrien», erklärt Scholkmann. Die Türkei signalisierte inzwischen, dass weitere Grenzübergänge informell offen seien.
Moralisches Dilemma für Hilfsorganisationen
Wegen des Bürgerkriegs in Syrien ist die Lage für viele Hilfswerke riskant. Das syrische Erdbebengebiet ist unter der Kontrolle verschiedener Milizen und Mafias, einige der betroffenen Gegenden sind unter Regimekontrolle. «Das Regime Assad ist sehr schwach, gilt als hochkorrupt und entsprechend ineffizient», sagt Auslandredaktor Scholkmann.
Die Schweizer Rettungskette wird wegen der riskanten Lage nicht nach Syrien gehen. «Dass sich viele Bergungsteams fragen, ob sie in diesem Minenfeld helfen wollen, ist nachvollziehbar. Aber angesichts der immensen Not ist das doch auch ein gewaltiges moralisches Dilemma», so Scholkmann.
Jetzt werden Stimmen laut, die ein Ende der Sanktionen gegen Syrien fordern. Sie sagen, nur ohne Sanktionen könne man den Erdbeben-Opfern helfen. Dem widersprechen diejenigen Staaten, die an den Sanktionen festhalten wollen, allen voran die USA: Sie sagen, humanitäre Hilfe sei nicht mit Sanktionen belegt.
Dennoch mangelt es an humanitärer Hilfe für Syrien. Syrerinnen und Syrer im Ausland klagen beispielsweise darüber, dass sie ihren Angehörigen in Syrien wegen der Sanktionen nur sehr schwer Geld schicken können.
Während tausende Menschen leiden, könnte Machthaber Assad aus dieser Krise politisches Kapital schlagen, vermutet Scholkmann. «Er könnte sich als der einzige Ansprechpartner und als Drehscheibe für die Hilfe in ganz Syrien, auch im Rebellengebiet, anbieten.»
Schon vor dem Erdbeben haben verschiedene arabische Staaten wieder den diplomatischen Draht zum syrischen Regime aufgenommen. Im Westen jedoch bleiben die Vorbehalte gross: Man traut Assad nicht, glaubt, dass er die Hilfe missbrauchen könnte, um Günstlinge zu unterstützen und Gegner zu schwächen. Sein Regime hat im Krieg ganze Vorstädte ausgehungert.