Viele Verwandte von Ashti Amir sind beim Erdbeben im nordsyrischen Afrin gestorben. Der in der Schweiz lebende Syrer fordert mehr Direkthilfe und Grenzöffnungen.
SRF News: Wissen Sie, wie es Ihren Verwandten in Afrin geht?
Ashti Amir: In meiner Familie gibt es leider viele Opfer. Aus der Familie meiner Frau sind 22 Personen gestorben, Tanten und Kinder. Das ist sehr hart. Die ganze Familie wohnte in einem vierstöckigen Haus. Es ist eingestürzt, und alle sind unter den Trümmern gestorben.
Die ganze Familie wohnte in einem vierstöckigen Haus. Es ist eingestürzt.
Wir haben es per Zufall erfahren, weil wir das Haus in einem Youtube-Video gesehen haben. Meine Frau hat ihre Mutter erkannt. Eine Tante schrie und weinte, sie war zum Zeitpunkt des Erdbebens in einem anderen Haus und nicht bei ihren Kindern. Bislang konnten erst sieben Personen aus den Trümmern geborgen werden. Das ist schmerzhaft.
Die Menschen in Nordsyrien erhalten noch weniger Hilfe als jene in der Türkei. Wie reagieren sie darauf?
Es hinterlässt das gleiche Gefühl wie bereits während des Krieges: Die Weltgemeinschaft lässt die Menschen im Stich. Die Leute haben auch kein Verständnis dafür, dass die Grenzen geschlossen bleiben, weil Russland im Sicherheitsrat die Öffnung mit einem Veto blockiert. Ich glaube auch nicht, dass der einzige geöffnete Grenzübergang zwischen der Türkei und Syrien schwer passierbar ist. Es gibt so viele andere Strassen dort.
Vom Roten Halbmond und anderen Hilfsorganisationen, aber auch von Politikerinnen wie der deutschen Aussenministerin Annalena Baerbock, wird die Öffnung der Grenzen innerhalb Syriens und nach Syrien gefordert. Wie wichtig wäre das?
Das wäre sehr, sehr wichtig. Seit zwei Tagen stehen Öltanklastwagen an der Grenze, um Hilfe nach Aleppo zu schicken. Es gibt viele Lastwagen, die auch innerhalb des Landes nicht in die Gebiete gelangen können, die nicht unter der Kontrolle des Assad-Regimes sind. Da wird seit Tagen verhandelt.
Es gibt Tausende Verletzte, es fehlt an Essen, Zelten. Es ist ein Kampf ums Überleben.
Die Grenzen innerhalb des Landes, aber auch jene zur Türkei und zu Irak, müssten sofort geöffnet werden. Die Erste Hilfe für Verschüttete kommt jetzt zu spät. Aber es gibt Tausende Verletzte, es fehlt an Essen, Zelten. Der Kampf ums Überleben geht weiter.
Auch die Aussetzung der Sanktionen gegen Syrien für Hilfslieferungen wird gefordert. Würden Sie dies auch unterstützen? Obwohl die Regierung diese instrumentalisieren könnte?
Ja, da bin ich dafür. Spendengelder gelangen nicht zu den Familien, weil sich die Banken aufgrund der Sanktionen weigern, sie zu überweisen. Mit dem Geld könnten die Familien zumindest Essen kaufen.
Sanktionen treffen immer vor allem die armen Leute.
Auch mit Blick auf Irak sieht man, dass Sanktionen immer die Bevölkerung treffen. Vor allem die armen Leute, die nichts haben. Man muss etwas gegen das Assad-Regime machen, aber nicht die Bevölkerung bestrafen.
Die Schweiz will nun helfen, indem sie Hilfsorganisationen, die bereits im Land tätig sind, unterstützt.
In dieser Region, die nicht vom Assad-Regime kontrolliert wird, sind keine internationalen oder Schweizer Hilfswerke tätig. Das gilt zum Beispiel auch für Idlib, das von radikal-islamistischen Gruppierungen kontrolliert wird; oder Afrin, wo türkisches Militär vor Ort ist. Gestern habe ich mich gefreut, weil ein Team von Experten aus Ägypten nach Afrin gekommen ist. Wie, weiss ich nicht. Alle haben sich gefreut: Immerhin ein Team ist gekommen.
Das Gespräch führte Karoline Arn.