Wann gilt ein Haus als erdbebensicher? «Vereinfacht gesagt gilt ein Gebäude als erdbebensicher, wenn es den Kräften eines Erdbebens widerstehen kann und die nötige Flexibilität aufweist, um die Bewegungen mitzumachen», erklärt Pia Hannewald, Bauingenieurin und Präsidentin der Schweizer Gesellschaft für Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik.
Wie wird erdbebengerechtes Bauen sichergestellt? Die Erdbebensicherheit ist in Baunormen geregelt. Darin steht laut Seismologe Stefan Wiemer, bis zu welcher Beschleunigung in einem Beben und bis zu welchem horizontalen Versatz ein Gebäude standhalten muss, ohne zusammenzubrechen. Dafür wird ein Designziel gesucht, das man einhalten will. Ein Gebäude soll etwa der Stärke eines Erdbebens, wie es statistisch alle 500 Jahre einmal vorkommt, standhalten.
Welche Bauelemente machen ein Gebäude resistent gegen Erdbeben? Entscheidend ist laut Ingenieur Martin Geiser ein sogenanntes Aussteifungssystem. «Das sind hauptsächlich Wände, Diagonalen und Gebäudekerne bestehend aus mehreren Wänden. Ein Haus braucht gemäss seiner Erdbebenzone ausreichend viele dieser Elemente, welche dann zu dimensionieren sind. Dann erfüllt es die Normen und die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, ist sehr klein.»
Machen auch Stützen ein Haus erdbebensicher? «Stützen sind primär für die vertikale Tragkraft eines Gebäudes relevant. Bei einem Erdbeben wird ein Haus horizontal hin und her geschüttelt, da bringt eine Stütze nur wenig», erklärt Professor Geiser. Entscheidender seien Diagonalen, Tragwände sowie Gebäudekerne (Liftschächte, Treppenhäuser). «Sie können die horizontal wirkenden Kräfte während eines Erdbebens aufnehmen. Einzelne vertikale Stützen können das nicht.»
Wird in der Schweiz in gefährdeten Regionen stärker auf erdbebensicheres Bauen fokussiert? Seismologe Stefan Wiemer erklärt: «In der Schweiz können überall Beben auftreten. Die Schweiz ist ein Erdbebenland. Mit den Baunormen versucht man, ein Gebäude überall gleich zu schützen. Man investiert also in höhere Standards in Regionen, wo mehr Beben auftreten.» So gilt in Basel bei grösseren Renovationen die Auflage, dass die Erdbebensicherheit zwingend überprüft werden muss, während im Wallis Neubauten strenger auf ihre Erdbebensicherheit kontrolliert werden.
Wie weit ist die Schweiz mit erdbebensicherem Bauen? Die Schweiz hat seit 2003 eine relativ moderne Erdbebennorm. «Relevant ist, dass Architekten und Ingenieure von Beginn an zusammenarbeiten, um ein Gebäude erdbebengerecht zu gestalten. Das war in der Vergangenheit nicht der Fall, doch heute bezieht man das früher mit ein», sagt Professor Martin Geiser. Man könne zudem davon ausgehen, dass für modernere Gebäude, die in den letzten 20 Jahren gebaut wurden, ein gewisser Erdbebenschutz existiert, bekräftigt Seismologe Stefan Wiemer.
Ist jedes Gebäude erdbebensicher? Die Krux in der Schweiz: Der Grossteil der Häuser ist über 20 Jahre alt. Bei Gebäuden aus den 1950er- und 1960er-Jahren oder älteren Bauten kennt man den genauen Schutz vor Erdbeben oft nicht. «Da gilt eine gewisse Verhältnismässigkeit», erklärt Bauingenieurin Pia Hannewald. «Alte Gebäude müssen in der Schweiz ein gewisses Mindestsicherheitsniveau erfüllen, aber sie müssen nicht gleich erdbebensicher sein wie Neubauten.»