Ein leises Klopfen, ein fernes Schaben: Die Rettungskräfte, die nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien nach Überlebenden suchen, müssen auf kleinste Geräusche achten. Auch 80 Schweizer Spezialisten und Spezialistinnen sind im Einsatz. Sobald sie eine Person lokalisieren können, müssen sie sich durch die Trümmer arbeiten, um sie zu bergen.
Martin Jaggi leitet den Einsatz des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH) in der Türkei. Er koordiniert von Bern aus und steht regelmässig mit seinen Leuten vor Ort in Kontakt – via Telefon oder WhatsApp. Sie berichteten, die Nachbeben hätten die Situation weiter verschärft: «Viele Häuser sind komplett zusammengestürzt und es sind nur noch einzelne Betonplatten sichtbar», erklärt Jaggi. Zwischen den Trümmern würden die Rettungskräfte viele Menschen antreffen, die nach Familienangehörigen suchen. «Insgesamt ist es ein katastrophales Bild.»
Um 21:39 Uhr am Montagabend war ein Flugzeug der Swiss mit den Schweizer Rettungskräften in Zürich Kloten gestartet. Nach der Landung am Flughafen Adana mussten sie möglichst schnell über Land weiter in die südtürkische Stadt Antakya. Sie liegt in einer Zone, die stark vom Erdbeben betroffen ist und wurde den Rettungsspezialisten aus der Schweiz von der türkischen Koordinationsstelle vor Ort zugeteilt.
15 Millionen Menschen betroffen
«Busse und Lastwagen zu organisieren, die unsere Leute und das Material nach Antakya transportieren konnten, war eine Herausforderung», erklärt Einsatzleiter Jaggi. Die Schweizer Rettungskette sei aber seit Dienstagmorgen im Einsatz. Die Hilfe ist dringend nötig. «Etwa 15 Millionen Menschen leben in dem Gebiet, das am stärksten vom Erdbeben betroffen ist – fast doppelt so viele wie in der Schweiz.»
Wer für die humanitäre Hilfe der Schweiz arbeitet, steht oft in Bereitschaft: Wenige Stunden, nachdem der Entscheid für einen Einsatz fällt, müssen die Rettungskräfte bereit sein – und ihre Jobs für mehrere Tage verlassen. Vor Ort übernachten die Rettungskräfte, Notärztinnen und andere Spezialisten in Zelten, weil Nachbeben eine grosse Gefahr darstellen.
«Wir wollen vermeiden, dass die Equipe auch noch in den kurzen Schlafphasen von etwa fünf Stunden Angst haben muss, dass ein Gebäude zusammenstürzt», erklärt Jaggi. Die Rettungsteams des SKH stehen 24 Stunden am Tag im Einsatz, in mehreren Schichten. Durchschnittlich dauert ein Einsatz der Rettungskette sieben bis zehn Tage.
Langfristige Hilfe notwendig
Auch dann, wenn die Hoffnung schwindet, noch Überlebende zu finden, werden Schweizer Einsatzkräfte voraussichtlich weiter vor Ort bleiben. Vor dem Abflug am Montagabend erklärte der Einsatzleiter Sebastian Eugster gegenüber SRF: «Wir intervenieren in einem Gebiet, in dem Winter ist, so wie hier.» Die Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf. Die Grundversorgung muss gewährleistet werden. Die Spitalversorgung erreicht ihre Kapazitätsgrenzen.» Deshalb seien nicht nur Rettungskräfte gefragt.
Über 50 Länder haben der Türkei ihre Unterstützung angeboten. Noch laufen die Abklärungen, wie die Schweiz über die Such- und Rettungsaktionen hinaus helfen kann. Jaggi sagt dazu: «Wir überlegen uns bereits, wie wir in den kommenden Tagen weitere humanitäre Hilfe leisten können.»
Dies könne etwa im medizinischen Bereich sein oder beim Errichten von Notunterkünften. Auch in Syrien wird die Schweiz einen humanitären Einsatz leisten. Noch ist aber unklar, wie dieser genau aussehen soll – möglich wäre laut Jaggi eine Kooperation mit Partnern vor Ort.