Im Auftrag des Bundes und in Zusammenarbeit mit Bauingenieuren haben Experten in jahrelanger Arbeit ein neues Erdbebenrisikomodell für die Schweiz berechnet.
Die Gebäude sind in Verletzbarkeitsklassen eingeteilt, um zu sehen, wie sie in einem Beben reagieren würden.
Die Analyse der Gebäude spielte dabei eine zentrale Rolle, sagt Stefan Wiemer, der Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes (SED): «Es geht darum, wo die Gebäude stehen und wo es wie viele Gebäude hat. Die Gebäude sind in Verletzbarkeitsklassen eingeteilt, um zu sehen, wie sie in einem Beben reagieren würden. Wenn man diese Informationen mit der Gefährdung, Eigenschaften des lokalen Untergrunds und betroffenen Personen und Werten zusammentut und die Rechnung kombiniert, kann man ein Erdbebenrisikomodell daraus bauen.»
Dieses neue Risikomodell unterscheidet sich deutlich vom bisher vertrauten Gefährdungsmodell, in dem lediglich beschrieben wurde, wo die Erde – vereinfacht gesagt — am ehesten heftig schüttelt. Neu wird auch in Betracht gezogen, wie stark besiedelt ein Gebiet ist, wie der Untergrund beschaffen ist und wie viele Menschen dort wohnen. «Mit diesem Modell variiert das Risiko von einem Haus zum nächsten viel stärker», sagt Wiemer. «Es gibt Unterschiede im Faktor 10'000 für das Risiko von einem Ort zum andern.»
Grosses Risiko in den Städten
Und so zeigt sich, dass nicht nur die Stadt Basel ein grosses Erdbebenrisiko hat, auch Genf, Luzern, Bern oder Zürich leuchten auf der neuen Karte rot auf. Das mag für viele überraschend sein.
Die Stadt Zürich steht zu einem Grossteil auf relativ weichen Seesedimenten.
Warum zum Beispiel die Stadt Zürich derart gefährdet ist, erklärt der Experte so: «Zürich ist eine Stadt mit vielen und teuren Gebäuden. Sie steht zu einem Grossteil auf relativ weichen Seesedimenten und sie hat relativ viele historische Gebäude.»
Das Risikomodell des Schweizerischen Erdbebendienstes (SED)
Erst mit den neuen Baunormen ab 2003 sind die Gebäude deutlich erdbebensicherer geworden. Eine zentrale Rolle spielt der Untergrund. Häuser, die auf Sedimenten gebaut sind, wie im Fall von Zürich und im Rest des Schweizer Mittellandes, sind 10 bis 20 Mal gefährdeter als Häuser auf Gestein. Wiemer sagt: «Ein weicher Pudding schwingt bei Bewegung mehr, analog kann man viel stärkere Bodenbewegungen haben auf einem weichen Untergrund als auf einem harten Felsen. Und das erhöht das Schadensrisiko.»
In einem Zeitraum von 100 Jahren sind in der Schweiz Schäden von 11 bis 44 Milliarden Franken zu erwarten, bis zu 1600 Menschen würden das Leben verlieren und 40'000 – 175'000 Menschen könnten kurz bis langfristig obdachlos werden. So haben es die Forscherinnen und Forscher mit dem neuen Risikomodell berechnet.
Ein so heftiges Beben wie vor kurzem in der Türkei sei in der Schweiz zwar nicht zu erwarten, aber auch eine Wiederholung des Basler Bebens aus dem Jahr 1356 hätte katastrophale Auswirkungen, sagt Stefan Wiemer: «Es könnte bis zu 20'000 Verletzte geben, man hätte wohl bis zu 3000 Todesopfer zu beklagen und vorübergehend 200'000 Obdachlose. Es wäre ein dramatisches Ereignis.»
Sicher ist, dass es kommt
Das neue Risikomodell macht die Gefahr, die von Erdbeben in der Schweiz ausgeht, deutlich sichtbarer. Das Modell dürfte auch der nationalen Erdbebenversicherung, um die in der Schweiz schon seit mehr als 20 Jahren gerungen wird, neuen Schwung geben.
«Für uns ist wichtig, dass man das Problem nicht erst angeht, wenn es dann gebebt hat, sondern dass man sich eine Lösung überlegt, wenn man noch Zeit hat vor dem Beben.» Wann das nächste grosse Beben kommt, weiss niemand, aber dass es kommt, ist sicher.