«Bald gehe ich nach Japan wegen der Kirschblüten», «Versuch doch mal japanische Snacks mit Matcha-Geschmack!», «Hast du die letzte Folge von ‹One Piece› gesehen»? «Halt stopp! Wie bitte was?» Genau so fühlt sich Moderatorin Anik Leonhardt. Sie spürt in ihrem Umfeld einen enormen Japan-Hype.
In der Tat scheint dies mehr als einfach ein Gefühl zu sein. Die Einreisen aus der Schweiz nach Japan haben sich in den vergangenen zehn Jahren beinahe verdoppelt und der Umsatz mit Mangas hat sich in Deutschschweizer Buchhandlungen in den letzten fünf Jahren fast vervierfacht.
Auch hierzulande findet sich immer mehr japanische Kultur. So gibt es etwa Läden mit japanischen Snacks, Manga-Malkurse oder japanische Bands, die in der Schweiz Konzerte nur mit Anime-Musik zum Besten geben.
Ein Anime-Konzert in Zürich
«Selten gehe ich an ein Konzert, bei dem ich keinen Song kenne», schmunzelt Anik Leonhardt leicht verloren und gleichzeitig voller Vorfreude. An diesem sonnigen Herbstabend spielt die japanische Band «Flow» Anime-Soundtrack um Anime-Soundtrack. Sie geben Songs von bekannten Animes wie «Naruto» oder «Dragon Ball Z» wieder.
Im X-TRA in Zürich tummelt sich eine diverse Masse an jungen Menschen: «Ich hätte sogar Tausend Stutz für das Konzert ausgegeben», meint eine Besucherin. Eine weitere Person erklärt, dass man früher noch gemobbt worden sei, wenn man sich Animes angeschaut habe. Heute würden die Leute eher überrascht reagieren, wenn man keine Animes geschaut habe.
Der Hype um Japan und die japanische Kultur ist an diesem Abend omnipräsent. Für manche ist es das Essen, für andere Anime und Manga, die japanische Architektur, aber auch die Sprache und die Menschen, die sie faszinieren.
Eines haben aber alle gemeinsam: Sofern sie nicht bereits das Land bereist haben, wollen sie dies bald tun. Ein Besucher fasst zusammen: «Japan ist cool.»
Besuch bei einer Japan-Enthusiastin
Versuch Nummer zwei, um den Japan-Hype besser zu verstehen. Anik Leonhardt trifft eine junge Frau, die sich Duff nennt. Sie kennt sie von Tiktok. Dort gibt sie Tipps rund um Japan. Duff hat Anik zu sich nach Hause eingeladen, wo sie japanische Snacks, Mangas, Pokémonfiguren und Hello-Kitty-Hausschuhe erwarten.
Ich habe in meinem Zimmer meine Kindheit verwirklicht.
Es glitzert und funkelt in Duffs Zimmer. Anik Leonhardt staunt: «Es fühlt sich an, wie in einem Japan-Museum.» Auf jeder freien Ablagefläche posiert eine Anime- oder Manga-Figur, an der Wand hängen Poster und sogar ihr Laptop und ihre Handyhülle sind mit Stickern verziert. Es gibt kaum einen Ort, an dem nichts zu finden ist, was mit Japan zu tun hat. Duff meint dazu: «Ich habe in meinem Zimmer meine Kindheit verwirklicht.»
Ihre Faszination für Japan hatte bereits im jungen Alter begonnen: «Als ich von der Schule nach Hause kam, liefen auf RTL 2 Animes im Fernsehen. Ich bemerkte, dass irgendetwas anders ist bei diesen Sendungen.» Als sich Duff dann tiefer mit der Materie befasste, bemerkte sie, dass sie ganz viele Dinge mag, die mit Japan in Verbindung stehen: Hello Kitty, Kirschblüten oder auch die japanische Autoszene.
Duff sieht sich selbst in gewissen Anime-Figuren: «Ich war früher oft allein zu Hause, weil meine Eltern arbeiten mussten.» So ergehe es vielen Kindern mit Migrationshintergrund. Duff selbst hat albanische Wurzeln.
In dieser Zeit schaute Duff Animes, in welchen die Hauptfiguren ständig die Underdogs sind. «Dort sah ich, dass die Charaktere eine schwierige Vergangenheit und wenig Kollegen hatten. Sie konnten sich nicht richtig verständigen.» Mit der Zeit seien die Figuren aber stärker geworden und hätten an sich gearbeitet. Damit konnte sich Duff identifizieren.
Es sei laut Duff auch keine spezielle Kombination, dass Albanerinnen und Albaner Anime-Fans seien: «Ich glaube, dass es Gemeinsamkeiten in der albanischen und japanischen Kultur gibt.» Es gehe in den Animes sehr oft um Ehre und Stolz, etwas, das sie auch sehr in der albanischen Kultur sehe.
Bis zum letzten Jahr sei Duff auch nur nach Japan oder zu ihrer Familie nach Albanien und in den Kosovo gereist. Seit diesem Jahr besuche sie auch andere Orte, aber bis dahin sei sie noch nie in Paris, Barcelona, London oder Rom gewesen. Wohin ihre nächste Reise geht? Sie haben es erraten: Duff hat bereits ihren vierten Japan-Trip gebucht.
Ein Manga-Malkurs und eine unschöne Überraschung
Versuch Nummer drei, um den Japan-Hype besser zu verstehen. Gemeinsam mit Duff besucht Anik Leonhardt die Japanologie-Studentin Natasha Secrist. Die 23-Jährige gibt Manga-Malkurse in ihrem Atelier im Kanton Zürich. Während Duff sich sofort wohlfühlt, da sie alle Figuren auf den Zeichnungen erkennt, ist es für Anik Leonhardt eher etwas «überfordernd».
Natasha leitet die drei beim Zeichnen an und erklärt: «Bei Mangas gibt es für jede Person jeden Alters etwas.» Auch die Ausdrucksstärke und die Tiefe der Charaktere seien erwähnenswert.
Anik Leonhardt fällt beim Durchblättern von Mangas auf: «Sehr viele Frauen werden sexualisiert dargestellt.» Natasha ist dies bewusst und sie setzt sich damit kritisch auseinander. «Ich gehe dem heutzutage aus dem Weg.» Es sei höchst problematisch, wie Frauen in Mangas und Animes teilweise abgebildet würden. Die Sexualisierung von Frauen sei aber auch ein globales Problem, welches nicht nur in Mangas zu sehen sei.
Sie habe lange nur männliche Charaktere gezeichnet, weil sie die Sexualisierung nicht in Ordnung fand. Heute malt sie auch weibliche Persönlichkeiten: «Ich habe das Gefühl, dass ich nun genügend Skills und auch ein Bewusstsein entwickelt habe. Sodass ich dem auch entgegenwirken kann, indem ich starke und coole, weibliche Figuren zeichne, die nicht sexualisiert sind.»
Mehr Verständnis für den Japan-Hype
«Ich verstehe definitiv besser, warum so viele Leute auf Japan abfahren», meint Anik Leonhardt. Es gebe auch viele Dinge, die begeistern können. Besonders die Faszination für Anime und Manga könne sie gut nachvollziehen: «Es hat mich sehr berührt, wie es Duff Kraft gegeben hat.» Gleichzeitig empfand sie jedoch die Sexualisierung in den Mangas und Animes als problematisch.
Ob die SRF-Moderatorin selbst noch vom Hype gepackt wird, bezweifelt sie, aber: «Es war schon crazy zu sehen, wie viele Facetten der japanischen Kultur begeistern können.»