Sexarbeitende sind verschiedenen Risiken ausgesetzt – auch Gewalt. Bei einer neuen Erhebung zeigt sich, dass alle befragten Sexarbeiterinnen verschiedene Formen von Gewalt erlebt haben. Nun verlangt die «Koalition für die Rechte von Sexarbeitenden» für diese Frauen mehr Schutz. Eine von ihnen ist die Sexarbeiterin Miss Juli.
SRF News: Die neue Studie zeigt, dass Sexarbeiterinnen auch in der Schweiz Gewalt erleben. Hat Sie dieses Fazit schockiert?
Miss Juli: Schockiert war ich nicht, aber es war schon schwer, die Zahlen zu sehen. Es überrascht mich nicht, weil es ein gesellschaftliches Thema ist – Gewalt, hauptsächlich von Männern an Frauen. In der Sexarbeit zeigt es sich viel mehr als sonst.
Zur Studie von Procore
Die Studie ist nicht repräsentativ. Es wurden 24 Sexarbeitende befragt, die meisten haben einen Migrationshintergrund. Glauben Sie, dass es diese Menschen in der Sexarbeit schwerer haben?
Ich glaube, es kommt eher auf den Bildungshintergrund an. Ich habe zum Beispiel studiert und befasse mich sehr gern mit Psychologie und Kommunikation. Für mich ist die Hemmschwelle nicht so gross, mich zu wehren. Für andere, die gar keine Zeit für solche Themen haben, weil sie mit Kindern und Arbeit beschäftigt sind, ist es viel schwieriger, sich zu wehren oder Hilfe zu holen.
Die Studie fragte die Sexarbeiterinnen, wie sie sich schützen. Über 60 Prozent gaben an, sie würden selbständig arbeiten. Ist alleine arbeiten nicht gefährlicher?
Viele Etablissements nutzen Frauen mit Migrationshintergrund aus, weil sie die Regelungen nicht kennen. Es werden zu viele Abzüge vom Lohn gemacht und sie verdienen weniger. Auch können sie Klienten, die ihnen nicht passen, weniger gut ablehnen. Wenn man selbständig arbeitet, kann man sich selber organisieren. Beispielsweise einen Gruppenchat mit anderen Sexarbeiterinnen haben und sich informieren, wo man hingeht und abmachen, dass die anderen die Polizei anrufen, wenn man sich bis zu einer bestimmten Zeit nicht meldet.
Neue Klienten sollte man in der Öffentlichkeit treffen, in einer Bar zum Beispiel.
Sie haben in einem Etablissement gearbeitet und sind jetzt selbständig. Schützen Sie sich so, wie sie es beschrieben haben?
Genau. Es kommt auch darauf an, wo man arbeitet. In einem Hotel ist man zum Beispiel recht sicher. Es hat überall Kameras, man muss sich an der Rezeption ausweisen. Neue Klienten sollte man in der Öffentlichkeit treffen, in einer Bar zum Beispiel.
Bezüglich Entstigmatisierung: Wäre es für Sie ein Ziel, dass man sich als Sexarbeiterin vorstellen kann, ohne dass die andern im Raum zusammenzucken?
Ja. Und wenn ich sage, dass ich im BDSM-Bereich tätig bin, was sehr psychologisch und facettenreich ist, kommen häufig Fragen zu sexuellen Fantasien. Und ob es stimme, dass hauptsächlich Banker Klienten sind. Das sind so Klischees und ich mache dann viel Aufklärungsarbeit.
Sexarbeit in Krimis – nervt Sie das?
In Krimis nervt es mich weniger. Mich nervt, dass Menschen so fixe Bilder haben. Entweder sind sie mega neugierig und dann bin ich so wie ein exotisches Tier im Raum. Oder es kommt die Verurteilung. Dann werde ich so komisch angeschaut. Ich möchte klarmachen, dass das Klischeebild nicht stimmt.
Es kann für einen Klienten sehr befreiend und heilend sein, weil er mal loslassen und sich selbst sein kann.
Es gibt sehr viel verschiedene Klienten und verschiedene Hintergründe, warum ein Mensch zu einer Sexarbeiterin geht. Ich finde es wichtig, dass es Sexarbeitende gibt. Wir bieten einen Raum dafür, dass jemand zu uns kommen kann, ohne dass wir die Personen dafür verurteilen. Es kann für sie sehr befreiend und heilend sein, weil sie mal loslassen und sich selbst sein können.
Das Gespräch führte Andrea Jaggi.