Zum Inhalt springen
Audio
Sexarbeiterinnen erleben in der Schweiz häufig Gewalt
Aus Rendez-vous vom 14.11.2024. Bild: KEYSTONE/DPA/Markus Scholz
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 41 Sekunden.

Risiken für Sexarbeiterinnen «Gewalt zeigt sich in der Sexarbeit viel mehr als sonst»

Sexarbeitende sind verschiedenen Risiken ausgesetzt – auch Gewalt. Bei einer neuen Erhebung zeigt sich, dass alle befragten Sexarbeiterinnen verschiedene Formen von Gewalt erlebt haben. Nun verlangt die «Koalition für die Rechte von Sexarbeitenden» für diese Frauen mehr Schutz. Eine von ihnen ist die Sexarbeiterin Miss Juli.

Miss Juli

Sexarbeiterin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Miss Juli ist im «Sexworkers Collective» engagiert. Die Mitte-30erin beschreibt sich als BDSM-Künstlerin, Prodomme, Bodyworkerin und Kink Educator. Ursprünglich hat sie ein Informatikstudium absolviert. Seit 2018 ist sie in der Sexarbeit tätig.

SRF News: Die neue Studie zeigt, dass Sexarbeiterinnen auch in der Schweiz Gewalt erleben. Hat Sie dieses Fazit schockiert?

Miss Juli: Schockiert war ich nicht, aber es war schon schwer, die Zahlen zu sehen. Es überrascht mich nicht, weil es ein gesellschaftliches Thema ist – Gewalt, hauptsächlich von Männern an Frauen. In der Sexarbeit zeigt es sich viel mehr als sonst.

Die Studie ist nicht repräsentativ. Es wurden 24 Sexarbeitende befragt, die meisten haben einen Migrationshintergrund. Glauben Sie, dass es diese Menschen in der Sexarbeit schwerer haben?

Ich glaube, es kommt eher auf den Bildungshintergrund an. Ich habe zum Beispiel studiert und befasse mich sehr gern mit Psychologie und Kommunikation. Für mich ist die Hemmschwelle nicht so gross, mich zu wehren. Für andere, die gar keine Zeit für solche Themen haben, weil sie mit Kindern und Arbeit beschäftigt sind, ist es viel schwieriger, sich zu wehren oder Hilfe zu holen.

Die Studie fragte die Sexarbeiterinnen, wie sie sich schützen. Über 60 Prozent gaben an, sie würden selbständig arbeiten. Ist alleine arbeiten nicht gefährlicher?

Viele Etablissements nutzen Frauen mit Migrationshintergrund aus, weil sie die Regelungen nicht kennen. Es werden zu viele Abzüge vom Lohn gemacht und sie verdienen weniger. Auch können sie Klienten, die ihnen nicht passen, weniger gut ablehnen. Wenn man selbständig arbeitet, kann man sich selber organisieren. Beispielsweise einen Gruppenchat mit anderen Sexarbeiterinnen haben und sich informieren, wo man hingeht und abmachen, dass die anderen die Polizei anrufen, wenn man sich bis zu einer bestimmten Zeit nicht meldet.

Neue Klienten sollte man in der Öffentlichkeit treffen, in einer Bar zum Beispiel.

Sie haben in einem Etablissement gearbeitet und sind jetzt selbständig. Schützen Sie sich so, wie sie es beschrieben haben?

Genau. Es kommt auch darauf an, wo man arbeitet. In einem Hotel ist man zum Beispiel recht sicher. Es hat überall Kameras, man muss sich an der Rezeption ausweisen. Neue Klienten sollte man in der Öffentlichkeit treffen, in einer Bar zum Beispiel.

Zum «Sexworkers Collective»

Box aufklappen Box zuklappen

Mitglied der «Schweizer Koalition für die Rechte von Sexarbeiterinnen» ist etwa auch das «Sexworkers Collective». Weiter gehören Menschenrechtsorganisationen wie beispielsweise Amnesty International zu der Koalition. Sie stellt auch Forderungen an Politik und Gesellschaft.

Ein Hauptpunkt ist laut Miss Juli die Einbindung in die Entscheidungsprozesse, um Strategien und Strukturen zu entwickeln, die Sexarbeitende unterstützen. Weiter sind die Beratungsstellen oft überlaufen. Es bräuchte mehr Kapazitäten, um Sexarbeitende zu beraten und spezifische Schulungen anzubieten, auch für Polizisten und Sozialarbeiterinnen. «Sexarbeit umfasst ein breites Spektrum. Strassenstrich ist etwas ganz anders als High-Class-Escort oder Bordelle», so Miss Juli.

Bezüglich Entstigmatisierung: Wäre es für Sie ein Ziel, dass man sich als Sexarbeiterin vorstellen kann, ohne dass die andern im Raum zusammenzucken?

Ja. Und wenn ich sage, dass ich im BDSM-Bereich tätig bin, was sehr psychologisch und facettenreich ist, kommen häufig Fragen zu sexuellen Fantasien. Und ob es stimme, dass hauptsächlich Banker Klienten sind. Das sind so Klischees und ich mache dann viel Aufklärungsarbeit.

Miss Juli in lila Shirt und schwarzer Hose sitzt auf Stuhl.
Legende: Sexarbeitende wünschen sich weniger Stigmatisierung. Miss Juli ist grundsätzlich offen, was ihren Beruf angeht: «Aber es gibt auch Situationen, in denen ich merke, dass ich gerade keine Lust habe, über meine Arbeit zu reden.» SRF

Sexarbeit in Krimis – nervt Sie das?

In Krimis nervt es mich weniger. Mich nervt, dass Menschen so fixe Bilder haben. Entweder sind sie mega neugierig und dann bin ich so wie ein exotisches Tier im Raum. Oder es kommt die Verurteilung. Dann werde ich so komisch angeschaut. Ich möchte klarmachen, dass das Klischeebild nicht stimmt.

Es kann für einen Klienten sehr befreiend und heilend sein, weil er mal loslassen und sich selbst sein kann.

Es gibt sehr viel verschiedene Klienten und verschiedene Hintergründe, warum ein Mensch zu einer Sexarbeiterin geht. Ich finde es wichtig, dass es Sexarbeitende gibt. Wir bieten einen Raum dafür, dass jemand zu uns kommen kann, ohne dass wir die Personen dafür verurteilen. Es kann für sie sehr befreiend und heilend sein, weil sie mal loslassen und sich selbst sein können.

Das Gespräch führte Andrea Jaggi.

Rendez-vous, 14.11.2024, 12:30 Uhr ; 

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel