Laut Schätzungen gibt es rund 20'000 Prostituierte in der Schweiz. Nicht alle arbeiten legal hier – und auch nicht alle freiwillig. Darum hat das Parlament heute einen Vorschlag diskutiert, wie die berufliche Neuorientierung für Sexarbeiterinnen erleichtert werden kann. Denn dafür sind Geld und rechtliche Sicherheit nötig.
Wer mit Betroffenen spricht, merkt aber schnell: Im Sex-Business gibt es noch viel mehr Probleme. Gegenüber SRF News schildert Sonja Keller (Name geändert), was sie erlebt hat. Seit Januar arbeitet sie nicht mehr als Sexarbeiterin. Nach 16 Jahren will sie raus aus der Prostitution, die sie körperlich und seelisch an ihre Grenzen brachte.
«Ich musste 24 Stunden am Tag verfügbar sein», erinnert sich Keller. «Wir durften nie Nein sagen, mussten Alkohol und Drogen nehmen. Das gehört zum Business.» Bald bekam sie gesundheitliche Probleme. «Man nimmt die Energien der verschiedenen Männer auf, damit muss man umgehen können. Ich wurde psychisch krank, noch heute leide ich unter Depressionen.»
Ich musste komplett untertauchen und mich vor meinem früheren Chef verstecken.
Heute macht Keller eine Lehre als Kosmetikerin, arbeitet Teilzeit in einem Restaurant und bezieht Sozialhilfe. Ohne entsprechende Organisationen hätte sie den Weg aus der Sexarbeit nicht geschafft. Sie halfen ihr dabei, eine Lehrstelle zu finden und beim Kontakt mit dem Sozialamt. «Die Frauen haben mir gezeigt, dass es ein anderes Leben gibt», sagt die ehemalige Sexarbeiterin. Und berichtet davon, wie sie alle Brücken hinter sich abreissen musste – um sich zu schützen: «Ich musste komplett untertauchen und mich vor meinem früheren Chef verstecken.»
Rebecca Angelini von der nationalen Dachorganisation der Beratungsstellen für Sexarbeitende sagt, speziell bei Opfern von Straftaten brauche es vor der beruflichen Neuorientierung viele andere Massnahmen. «Dazu gehören medizinische und psychologische Unterstützung, aber auch ein sicherer Ort.»
Wenn Opfer zu Täterinnen werden
Aus dieser Sicherheit heraus folgt ein zweiter Schritt, ein ebenso folgenreicher wie mutiger: Die Frage, ob man die Täterschaft anzeigen möchte. Allerdings: Nicht alle Sexarbeiterinnen sind Opfer von Straftaten und nicht alle wollen sich beruflich neu orientieren. «Eine Sexarbeiterin, die aus wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen in Osteuropa kommt, hat zum Beispiel nur wenige Optionen», sagt Angelini. «Für sie ist die Sexarbeit vielleicht die beste Option und die berufliche Neuorientierung kein Thema.»
Die unterschiedlichen Regelungen führen laut Angelini zu Abhängigkeiten: «Ein Bordell-Betreiber bekommt sehr viel Macht. Er kann der Frau sagen, dass sie froh sein kann, überhaupt einen Job zu bekommen – während er die Bürokratie regelt.» Dafür sollen die Frauen einen grossen Teil von ihrem Einkommen abtreten.
Besonders schutzlos sind die Frauen, wenn sie illegal in der Schweiz arbeiten. Bei Gewalt können sie sich dann nicht an die Polizei wenden. Generell fokussiert die Polizei laut den Frauenorganisationen zu sehr auf Repression. Angelini fordert einen Fokuswechsel: «Weg von diesen rein repressiven Kontrollen, wo die Polizei auf die Aufenthaltspapiere von den Sexarbeitenden, hin zu mehr Schutz.» Die Realität sei aber eine andere: In der Praxis würden Sexarbeiterinnen oft als Täterinnen behandelt, auch wenn Gewalt im Spiel sei. «Sie werden von der Polizei diskriminiert und stigmatisiert.»