In der Schweiz ist Prostitution grundsätzlich legal – doch: Soll sie verboten werden? Auslöser der Debatte sind Untersuchungen, wonach die legale Prostitution zu mehr misshandelten Frauen und Mädchen führt. Ursula Kocher von der Beratungsstelle Flora Dora kennt die Haltung der Prostituierten in der Diskussion.
SRF News: Wie kommt die Diskussion um ein Prostitutionsverbot bei den betroffenen Frauen im Sexgewerbe an?
Ursula Kocher: Für die meisten Personen, die wir betreuen – sie bieten ihre Dienste auf der Strasse an und prostituieren sich aus finanziellen Interessen – ist das Ganze weniger ein Thema. Doch etwa im Escortbereich ist es ein grosses Thema. Ein Verbot nimmt den Menschen, die diesen Job machen wollen, viel Selbstbestimmung. Man sollte genau hinschauen, ob die Sexarbeit freiwillig ist oder nicht. Hier müsste man ansetzen.
Welche Themen – neben einem Verbot – beschäftigen die betroffenen Menschen?
Für die Menschen in der Strassenprostitution geht es vor allem um Aufenthaltsbewilligungen oder Gesundheitsfragen. Viele von ihnen kommen aus dem Ausland – aus der ganzen Welt – und arbeiten nur für eine gewisse Zeit in Zürich. Sie müssen sich zunächst im «Kosmos» der Stadt zurechtfinden. Dabei bieten wir von Flora Dora ihnen Unterstützung an. Wir machen also vor allem klassische soziale Arbeit.
Wenden sich vor allem Frauen an Sie?
Auf der Strasse fallen vor allem Frauen und Transmenschen auf, doch es gibt auch Männer, die Sexarbeit machen. Allerdings ist die Art, wie gearbeitet wird, sehr unterschiedlich. So suchen sich männliche Sexarbeiter ihre Kunden vor allem online oder in Bars, während sich Frauen eher auf dem Strassenstrich anbieten. Sicher ist: In den letzten Jahren hat sich der Anteil Männer und Transmenschen unter den von uns betreuten Personen stark erhöht. Deshalb sehen wir auch immer besser in diese Szenen hinein und verstehen deren Problematik immer besser.
Welche unterschiedlichen Bedürfnisse nehmen Sie im Bereich der Prostitution wahr?
Im Escortbereich geht es vor allem um Bewilligungen und legales Arbeiten. Diese Personen haben alles andere meist selber im Griff. Auf der Strasse dagegen geht es vorwiegend um lebensnahere Themen wie überteuerte Zimmer, zu wenige Kunden oder sicheres Arbeiten. Wir vom Team von Flora Dora versuchen, diese Personen zu unterstützen, damit sie sicher und gesund über die Zeit kommen, während der sie diese Arbeit machen.
Ein Ausstieg aus der Prostitution ist nicht einfach: Man muss es wirklich wollen und es braucht einen persönlichen Effort.
Ist auch der Ausstieg aus der Prostitution ein Thema?
Ja, vor allem seit der Corona-Pandemie. Die Situation für die Sexarbeitenden ist schwieriger und das Leben durch die Inflation teurer geworden. Die Kunden sind nicht mehr so spendabel wie früher. Viele Freier holen sich ihre Sexdienstleistungen jetzt auch andernorts ab, etwa im Internet. Ein Ausstieg aus der Prostitution ist aber nicht einfach: Man muss es wirklich wollen und es braucht dann auch einen persönlichen Effort.
Erhalten die Betroffenen Hilfe, damit sie einen Ausstieg schaffen?
Wir versuchen mit Laufbahnberatung, ihnen eine neue Perspektive aufzuzeigen. Das Ganze ist ein Prozess – meist kann man nicht von einem Tag auf den anderen aussteigen. Manche Betroffene müssen zuerst die Sprache lernen oder etwas anderes. Wir helfen ihnen bei der Stellensuche, bei Bewerbungen oder bereiten mit Ihnen Vorstellungsgespräche vor. Wichtig ist dabei, dass die Gesellschaft Sexarbeit nicht stigmatisiert. Denn es ist schwierig, eine Stelle zu erhalten, wenn «Sexarbeit» im Lebenslauf steht.
Das Gespräch führte Reena Thelly.
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