Die Schweizer Gesetzgebung in Bezug auf Prostitution gehört zweifellos zu den liberalsten, und dennoch spielt sich ein grosser Teil in der Branche im Verborgenen ab. Fachleute schätzen, dass nur etwa zehn Prozent der Sexarbeiterinnen auf dem Strassenstrich arbeiten.
Vergessen werden all jene Frauen, die in Hotelzimmern, Bordellen oder auch in Wohnungen arbeiten.
«In den letzten 20 Jahren wurde das Sexgewerbe zunehmend reguliert, allerdings ausgehend vom sichtbaren Teil», sagt Rebecca Angelini, Geschäftsführerin von ProCoRe, der Dachverband zum Schutz von Sexarbeitenden, im «Tagesgespräch». Vergessen würden all jene Frauen, die in Hotelzimmern, Bordellen oder auch in Wohnungen arbeiten.
«Happy Hookers» und «Pendelmigrantinnen»
So gibt es laut Angelini beispielsweise die «Happy Hookers». Es sind jene, die das Privileg der Wahl haben und unter anderem in Edelbordellen gut verdienen. Weniger Wahlmöglichkeiten hätten dagegen die «Pendelmigrantinnen».
Häufig stammen die «Pendelmigrantinnen» aus dem osteuropäischen Raum und dürfen aufgrund der Personenfreizügigkeit 90 Tage im Jahr in der Schweiz ohne Bewilligung arbeiten. Für sie sei Sexarbeit eine rationale Entscheidung und die beste der wenigen Möglichkeiten, um der wirtschaftlich schlechten Situation in der Heimat zu entkommen.
Preisverfall auf dem Strassenstrich
Im Bereich der Prostitution macht sich laut Angelini aber auch der föderalistische Flickenteppich der Schweiz bemerkbar: Einige Kantone berichten, dass sich die Preise im Sexgewerbe wieder auf dem Niveau von vor Corona eingependelt hätten, andere Kantone melden einen Preisverfall von rund 50 Prozent auf dem Strassenstrich.
Die Freier können den Preis drücken, riskante Praktiken wie Sex ohne Kondom verlangen, und die Frauen können kaum Nein sagen, weil sie das Geld brauchen.
Vor allem in städtischen Kantonen seien die Preise gesunken. «Das Geschäft läuft schlecht, das führt zu einem ungleichen Machtverhältnis», stellt Angelini fest. Doch die «Pendelmigrantinnen» seien darauf angewiesen, in der Schweiz Geld zu verdienen. Das gebe den Kunden Verhandlungsmacht: «Die Freier können den Preis drücken, riskante Praktiken wie Sex ohne Kondom verlangen, und die Frauen können kaum Nein sagen, weil sie das Geld brauchen.»
Gewalt als Teil des Berufsrisikos?
Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) stuft das Gewaltpotenzial im Sexgewerbe als «sehr hoch» ein. Angelini bezweifelt jedoch, dass die Sexarbeit die Ursache ist: «Die Mehrheit der Sexarbeiterinnen sind Frauen, oft Migrantinnen, zum Teil Transpersonen oder auch Sans-Papiers. Sie gehören zu den Bevölkerungsgruppen, die grundsätzlich stärker von Gewalt betroffen sind».
Je prekärer die Gesamtsituation einer Sexarbeiterin sei, desto anfälliger sei sie für Gewalt und Ausbeutung, unterstreicht Angelini. Ein weiteres Problem sei, dass die Strafverfolgungsbehörden die erlebte Gewalt als Teil des Berufsrisikos betrachteten: «Es ist eine Täter-Opfer-Umkehr, Sexarbeiterinnen eine Mitverantwortung zuzuschreiben.» Stigmata und Vorurteile hielten betroffene Frauen oft auch davon ab, Anzeige zu erstatten.