«Impfdrängler», «Maskenpflicht» oder «2G-Regel» – die Pandemie war ein gutes Beispiel dafür, wie sich Sprache weiterentwickelt. Neue Wörter kommen hinzu, alte werden immer seltener benutzt und verschwinden irgendwann.
Die Redaktorinnen und Redaktoren beim romanischen Radio und Fernsehen RTR stellt das nicht selten vor Probleme. Denn für viele neue Wörter der deutschen Sprache gibt es schlicht keine romanische Übersetzung. Deshalb tüfteln sie fast täglich selber an der eigenen Sprache.
Chastè-trampolin und il coronavirus
Vor einigen Jahren hat sich RTR-Redaktor Ursin Lechmann mit einer Geschichte befasst, bei der es unter anderem um eine Hüpfburg ging. Nur ein rätoromanisches Wort für Hüpfburg fand er nirgends.
«Somit gibt es die Möglichkeit, dass man ein Wort erfinden kann.», berichtet Lechmann. Dafür wendete er sich an die hausinterne Linguistin Anna-Alice Dazzi.
«Erstens haben wir geklärt, ob es das Wort doch gibt und ich es nur nicht gefunden habe – das war nicht der Fall. Dann haben wir kurz diskutiert, wie das neue Wort heissen könnte.», erinnert sich Lechmann. Sie haben sich für «chastè-trampolin» – wörtlich übersetzt «Trampolinburg» – entschieden.
Sprachkiosk mit offiziellem Auftrag
Anna-Alice Dazzi erklärt ihre Tätigkeit so: «Ich bin ein Sprachkiosk – alle können ständig zu mir kommen und schnell fragen.» Dabei hat sie auch einen offiziellen Auftrag. Denn Dazzi ist berechtigt, ihre Wortkreationen ins Pledari Grond, das digitale rätoromanische Wörterbuch, zu schreiben.
Indem die Wörter verwendet werden, gehen sie in die Köpfe der Menschen.
Besonders gefordert war sie während der Pandemie. Schon zu Beginn stellte sie sich die Frage, spricht man vom «coronavirus» oder vom «virus da corona»? Linguistin Dazzi hat dies mit anderen Linguistinnen besprochen. «Wir haben dann gemeinsam entschieden, dass wir alle ‹il coronavirus› verwenden. Auch wegen der Abkürzung Covid.»
Alte Redewendungen wiederentdecken
Häufig wenden sich die Redaktorinnen und Redaktoren von RTR aber nicht nur wegen spezifischer Wörter, sondern wegen Redewendungen an Dazzi. Redewendungen, die es auf romanisch zwar gibt, die aber über die Jahre aus dem Sprachgebrauch verschwunden sind.
Für die Übersetzung von «steter Tropfen höhlt den Stein» etwa musste Anna-Alice Dazzi in alten Wörterbüchern nachschlagen. Zum Schluss haben sie sich für die romanische Redewendung «dagut a dagut fa puz» entschieden. Wörtlich übersetzt heisst das «Tropfen für Tropfen gibt einen Teich». Die Linguistin argumentiert: «Das ist eigentlich das gleiche Bild, aber es tönt romanisch und ist nicht nur eine Übersetzung.»
Von den Medien in den Sprachgebrauch
Damit solche Wiederentdeckungen, insbesondere aber auch neue Wörter, nicht gleich wieder verloren gehen, seien die Medien wichtig, so Dazzi. Neben RTR gilt das also auch für die Tageszeitung «La Quotidiana» und die sozialen Medien.
«Indem die Wörter verwendet werden, gehen sie in die Köpfe der Menschen», ist die Linguistin überzeugt. Wenn Menschen die Wörter hören und lesen beim Medien konsumieren, würden sie diese wahrscheinlich auch selber brauchen. «So wird das Ganze auf eine natürliche Weise verbreitet», hofft Anna-Alice Dazzi.
Dazzi war auch dabei, als man vor der alpinen Ski-Weltmeisterschaft 2003 in St. Moritz ein romanisches Wort für die freiwilligen Helfer, die Volunteers, suchte. Der Entscheid fiel auf «voluntari» – ein Wort, das sich auch in den Köpfen der deutschsprachigen Mehrheit in Graubünden als festes Synonym für Freiwillige an Sportanlässen festgesetzt hat.