«Ich möchte mehr Muskeln. Deshalb bin ich bereit, ein Risiko einzugehen, mir die Substanzen zu beschaffen und dafür Geld zu investieren», erzählt ein Mann, den wir für den Artikel Marco nennen. Der 36-Jährige hat vor über vier Jahren angefangen, sich Anabolika zu spritzen.
Der Grund: mehr Muskeln und damit einhergehend mehr Selbstbewusstsein. Er fühle sich mit Muskeln attraktiv und könne in verschiedenen Situationen selbstsicherer auftreten.
Es gibt unter jungen Männern das Schimpfwort ‹du Lauch›, wenn man dünn ist.
Damit steht Marco nicht alleine da. Laut Expertinnen und Experten gehört die Optimierung des Aussehens zu den Hauptmotiven für die Verwendung von Anabolika. Eine Umfrage der Gesundheitsförderung Schweiz zeigt zudem: 77 Prozent der männlichen Jugendlichen in der Deutschschweiz wären gerne muskulöser. «Es gibt unter jungen Männern das Schimpfwort ‹du Lauch›, wenn man dünn ist», erzählt Marco.
Anabolika werden oftmals auf dem Schwarzmarkt im Internet besorgt. Recherchen von «SRF Impact» zeigen: Die Produkte sind einfach über Onlineshops und Social-Media-Kanäle bestellbar. Dies geht mit Risiken einher. Viele Produkte seien falsch deklariert oder der Inhalt sei von minderwertiger Qualität, schreibt das Drogeninformationszentrum Zürich (DIZ) auf seiner Website. Zudem beeinflusse der leichte Zugang die Risikowahrnehmung der Konsumierenden und führe so zu einer reduzierten Hemmschwelle, steht in einem Fachbericht.
Herzinfarkte und Schlaganfälle
Die Nebenwirkungen von Anabolika sind vielfältig. Unreine Haut und Haarausfall gehören zu den harmloseren. Weitaus ernsthafter ist ein deutlich erhöhtes Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Der Konsum von Anabolika kann aber auch psychische Nebenwirkungen haben und unter anderem zu Depressionen führen.
Eine von drei Personen rutscht in eine Abhängigkeit.
Zudem ist das Suchtpotenzial hoch. «Eine von drei Personen, die mit dem Konsum von Anabolika beginnt, rutscht in eine Abhängigkeit», sagt Raphael Magnolini. Er ist Assistenzarzt beim Zentrum für Suchtmedizin Arud und betreut Anabolika-Konsumenten. Eine Anabolika-Abhängigkeit zeige sich ähnlich wie andere Substanzkonsumstörungen. Ein häufiges Zeichen sei unter anderem der weiterführende Konsum, obwohl die Person wisse, dass dieser psychische und körperliche Folgen nach sich ziehe, erzählt Magnolini.
Marco sitzt bei Raphael Magnolini in der Anabolika-Sprechstunde. Auf die Frage, ob er sich in den vergangenen zwei Wochen vermehrt niedergeschlagen und hoffnungslos gefühlt habe, antwortet er mit Ja. Trotzdem: «Ich würde mich nicht als stark süchtig bezeichnen», sagt Marco, «vielleicht ist das aber ein Trugschluss und ich lüge mich an». Früher oder später möchte er aber mit dem Anabolikakonsum aufhören. Noch habe er keine Lust darauf, an Muskelmasse zu verlieren.
Depression bis zu Suizidalität
«Leute haben Angst vor dem Konsumstopp», sagt Magnolini dazu, «weil sie starke Absetzungserscheinungen entwickeln können». Dies könnten unter anderem Angststörungen oder depressive Episoden sein, bis hin zu Suizidalität.
«Wir können eine Therapieform anbieten, die insbesondere das Down nach dem Konsum vermindern und verkürzen kann», sagt Magnolini zum Schluss des Gesprächs zu Marco. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werde er aber eine kurze Periode haben, in der ein solches Tief auftreten werde.