Wer bin ich? Wo sind meine Wurzeln? Wo ist meine Heimat? Mit 15 schlittert Asmin Tekdemir in eine regelrechte Identitätskrise. Seit ihrem dritten Lebensmonat wohnt sie in der Schweiz – als Tochter türkischer Kurden, die sie während ihrer Flucht in Griechenland zur Welt gebracht hatten. Ein kultureller Hintergrund, der mitten im Teenageralter zur grossen Herausforderung wird.
«Irgendwann habe ich gemerkt: Heimat ist nicht unbedingt ein Ort, sondern ein Gefühl», sagt die inzwischen 20-jährige Tekdemir. Ein Gefühl, das ihr Familien, Freunde, Kollegen vermitteln. «Heute nehme ich aus beiden Kulturen, was mir gefällt.»
Lebenswelten prallen aufeinander
Ein Miteinander statt Nebeneinander der Kulturen fördern: Mit dieser Motivation spielt Asmin Tekdemir derzeit in der Urner Produktion «Fremd sein» mit. Das Stück lässt in der Altdorfer Mehrzweckhalle Winkel die Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten sowie Einheimischen aufeinanderprallen.
Auf der Bühne stehen insgesamt 39 Personen – rund die Hälfte davon stammt ursprünglich aus dem Ausland. Im einen Moment hält die Migrantin dem Einheimischen den Spiegel vor – etwa wenn es um die Schweizer Pünktlichkeit geht. Im anderen lässt eine Fluchtgeschichte das Publikum verstummen.
Aus dem Kreis von Migranten kam der Wunsch, etwas für die Bühne zu machen.
Die Idee sei aus einer Reihe von Workshops entstanden, die sie im Auftrag des Amtes für Kultur durchgeführt habe, sagt Regisseurin Lory Schranz. «Aus dem Kreis der teilnehmenden Migranten kam damals der Wunsch, etwas für die Bühne zu machen, eine Botschaft weiterzugeben.» Zu erzählen, was es bedeute, zu flüchten – in ein Land, wo die Sprache anders sei, die Leute anders aussähen.
Schicksale berühren Einheimische auf der Bühne
Einer der Geflüchteten, der seine Geschichte teilt, ist Amir Ghasemi. Vor zwei Jahren kam er in der Schweiz, vorher arbeitete er als Hirte in Afghanistan. In einem Video, das während der Aufführung eingeblendet wird, kommen die Sorgen und Wünsche des 18-Jährigen zur Sprache. Sein grösster Traum: seine Eltern, seine Geschwister wiederzusehen. Denn jahrelang lebte Amir Ghasemi bei Verwandten, weit weg von der eigenen Familie.
Einheimische – sie wirken im Stück vorwiegend als Statisten und Sänger mit – zeigen sich berührt von solchen Schicksalen. «Es schüttelt einen zwischendurch», sagt etwa Michael Schranz (38). Geschichten wie jene von Amir würden seine «Erste-Welt-Probleme» relativieren. Obwohl dieser für sein Alter bereits einen riesigen Rucksack zu tragen habe, strahle er eine immense Toleranz aus. «Das ist extrem beeindruckend.»
Ähnlich ergeht es Kajetan Zurfluh (76). Zu hören, dass jemand über Jahre keinen Kontakt zur Familie habe, löse bei ihm Betroffenheit aus. Oft habe er sich in die Migrantinnen und Migranten hineinversetzt. «Ich habe mir vorgestellt, wie es wäre, wenn ich in einem fremden Land wäre – wie würde ich mich anstellen?»
Berührungsängste abbauen, kulturelle Barrieren überwinden: Das ist das Ziel von Regisseurin Lory Schranz und ihrer Produktion «Fremd sein». Mit ihrem Stück wolle sie zwar nicht den «Mahnfinger» erheben, aber dennoch dazu beitragen, Vorurteile aus der Welt zu schaffen, so Lory Schranz. Jene, die über Migranten sagen, diese würden mit den teuersten Handys herumlaufen – gerade jene skeptischen Leute wolle sie erreichen.