«Ich war komplett mit Schnee bedeckt und konnte mich nicht mehr bewegen.» Im Januar 2021 wird Patrik Howald beim Skigebiet Lauchernalp im Lötschental von einer Lawine erfasst. Von der Bergstation gingen der 30-Jährige und seine Freunde fünf Minuten weiter hoch, um hinter dem Berg im unberührten Tiefschnee ihre Linien zu ziehen. «Wir wussten, dass es eine heikle Passage gab – und wollten diese einzeln und vorsichtig durchqueren.»
Beim ersten Versuch geht alles gut, doch als die Gruppe nochmals den Hang hinunter will, kommt es zum Unglück. «Es war wie im Film. Beim zweiten Schwung brach vor mir die Schneedecke auseinander und alles begann zu schwimmen. Ich dachte, ich schaffe es noch raus – doch plötzlich war überall nur noch Schnee.»
Kurze Zeit später ist Howald komplett unter der Lawine verschüttet. Im letzten Moment bekommt er seine Hände hoch und formt vor dem Mund eine kleine Atemhöhle. Schreien hingegen bringt nichts – die Stimme verhallt unter den Schneemassen. «Ich konnte mich nicht mehr bewegen, habe nichts gesehen oder gehört. Da versuchte ich Energie zu sparen und möglichst wenig Luft zu verbrauchen.»
Jede Sekunde zählt
Oberhalb des Schnees läuft derweil die Suchaktion seiner Freunde. Die ersten Minuten sind entscheidend. Bereits nach rund 15 Minuten sinken die Überlebenschancen drastisch. Glücklicherweise ist die Gruppe gut vorbereitet: Sie haben die komplette Lawinen-Ausrüstung dabei. Vor dem Skifahren testeten sie die Lawinenverschüttetensuchgeräte jeweils noch auf dem Parkplatz.
Wie weit die Gruppe mit der Suchaktion ist, weiss Howald nicht. Er merkt nur, dass der Sauerstoff langsam knapp wird. «Da geht einem schon viel durch den Kopf – auch dass es heute vorbei sein könnte.» Angst vor dem Sterben habe er hingegen nicht gehabt. «Ich wusste, dass ich dann einfach einschlafen würde.» So steckt Howald minutenlang unter der Schneedecke – wie einbetoniert. «Es war nicht stockdunkel, eher ein undurchdringliches Hellblau.»
Dann spürt Howald, wie ihn eine Lawinen-Sonde am Kopf trifft. Nach knapp acht Minuten können ihn seine Freunde ausbuddeln. Glücklicherweise entdecken sie den Kopf zuerst, denn auch hier ist jede Sekunde kostbar. «Sobald ich etwas spürte, fing ich wieder an zu schreien und versuchte meinen Freunden klarzumachen, dass es mir gut geht.»
Latentes Restrisiko
Weniger Glück als Howald haben im Schnitt rund 21 Menschen pro Jahr – sie sterben in den Schneemassen. Auch in dieser Saison sind 15 Personen bei Skitouren oder neben der Piste in einer Lawine tödlich verunglückt. Zuletzt wurden in Meiringen in Kanton Bern zwei Jugendliche bei einem Lawinenniedergang verschüttet.
Über Leben und Tod entscheidet häufig, ob eine Person komplett verschüttet wird. Falls auch der Kopf bedeckt ist, überlebt nur etwas mehr als jeder Zweite, da die Verunglückten oft keine oder nur eine kleine Atemhöhle vor dem Gesicht haben.
Patrik kommt mit einem Schock davon und überlebt die Lawine unverletzt. Zusätzliche Rettung muss nicht angefordert werden. Der Vorfall ist auch nicht das Ende seiner Ski-Passion. Bereits eine Woche nach dem Vorfall steht Patrik Howald wieder auf der Piste. So ein Risiko wie damals würde er aber niemals wieder eingehen. «Wenn heute einer in der Gruppe ein mulmiges Gefühl hat, dann verzichten wir auf die Tour.»