Ukraine, Afghanistan, Sudan: Weltweit ist die Zahl der Vertriebenen und Flüchtlinge auf einen Rekord gestiegen. Ende 2022 seien weltweit insgesamt 108.4 Millionen Menschen auf der Flucht vor Verfolgung, Krieg, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und den Folgen des Klimawandels gewesen, wie das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf berichtete. Das sind 19.1 Millionen mehr als ein Jahr zuvor.
Zwei Drittel dieser rund 110 Millionen Menschen flohen innerhalb ihrer Heimatländer. Gut ein Drittel der Vertriebenen flüchtete ins Ausland. Davon waren wiederum zwei Drittel in Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen. Sie harren meist in Nachbarländern ihrer Heimat aus, in der Hoffnung auf eine baldige Heimkehr.
Es ist ein Armutszeugnis für den Zustand unserer Welt.
Das UNHCR verlangt mehr Anstrengungen, um Fluchtursachen zu bekämpfen und Flüchtenden beizustehen. Die Zahlen seien verheerend, sagte der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi. «Es ist ein Armutszeugnis für den Zustand unserer Welt», meinte er. Es gebe immer mehr Krisen, aber kaum Lösungen.
Migration nicht gleich Flucht
Migration und Flucht dürften nicht in einen Topf geworfen werden, sagte Grandi. Wenn reichere Länder mehr legale Wege der Einwanderung für Menschen böten, die in einem anderen als ihrem Heimatland Arbeit suchten, würden weniger Migranten Asyl beantragen, sagte er.
Asyl und ähnlicher Schutz sind Menschen vorbehalten, die vor Krieg, Konflikten, Verfolgung und Gewalt fliehen. Nach der UNO-Flüchtlingskonvention sind alle Länder verpflichtet, sie aufzunehmen.
Weil legale Migrationswege fehlten, seien die Asylsysteme überlastet, sagte Grandi. Behörden erkennen bei vielen Asylbewerbern angegebene Fluchtgründe aber nicht an. Schutzbedürftige gerieten in Verruf, sagte Grandi.
Beispielsweise in Deutschland wurden 2022 bei knapp 230'000 Asylentscheiden die Anträge von fast 50'000 Personen abgelehnt. Rund 50'000 weitere Fälle erledigten sich – etwa, weil Personen in anderen Ländern registriert waren oder Anträge zurückzogen.
Verschlimmernde Sudan-Krise
Grandi äusserte die Befürchtung, dass sich die aktuelle Krise im Sudan ausweiten könnte. Noch seien Hunderttausende Geflohene in Nachbarländern untergekommen. Aber der Osten des Landes sei als Terrain von Menschenschmugglern bekannt.
Wenn Recht und Ordnung im Sudan nicht bald wieder hergestellt würden, könnten diese Schmuggler Sudanesen auf die Fluchtrouten «nach Libyen und weiter» bringen, wie Grandi sagte. Vom Mittelmeerstaat Libyen starten viele Flüchtlingsboote Richtung Europa.
Es sei ein Mythos, dass die Flüchtlinge vor allem reiche Länder etwa in Europa oder Nordamerika als Zieldestination anstreben, sagte Grandi. Die Türkei beherbergte Ende 2022 die meisten Flüchtlinge, gefolgt vom Iran, wo überwiegend Afghaninnen und Afghanen unterkamen, Kolumbien und Deutschland.
Wir sind klar der Ansicht, dass Asylsuchende nicht in Gefängnisse gesteckt werden sollten. Asyl zu beantragen, ist keine Straftat.
Die EU plant eine Reform des Asylwesens. So wolle man Asylsuchende, die aus einem Staat anreisen, der als relativ sicher gilt, künftig nach dem Grenzübertritt in einer Aufnahmeeinrichtung unter haftähnlichen Bedingungen festhalten. Nach einer zügigen Prüfung der Gesuche sollen Abgelehnte umgehend zurückgeschickt werden.
Nicht alles sei perfekt, aber wenigstens habe sich die EU überhaupt auf etwas geeinigt, sagte Grandi. Er fügte hinzu: «Wir sind klar der Ansicht, dass Asylsuchende nicht in Gefängnisse gesteckt werden sollten. Asyl zu beantragen, ist keine Straftat.»