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40 Jahre nach der Katastrophe Keiner will den Sondermüll von Bhopal

1984 starben tausende Menschen nach einem Chemieunfall in der nordindischen Pestizidfabrik des US-Konzerns Union Carbide. Endlich soll jetzt ein Teil des giftigen Abfalls verbrannt werden. Doch dagegen wehrt sich die Bevölkerung.

Bauer Shivnarayan Chopra kommt mit dem Motorrad auf sein Feld geknattert. Es liegt bei Pithampur, direkt neben einer Verbrennungsanlage für Industrieabfälle, die hier alle nur Ramky-Fabrik nennen. Chopra hat hier früher Getreide und Linsen angebaut. 

Mann steht auf trockenem Feld mit Gebäuden im Hintergrund.
Legende: Bauer Shivnarayan Chopra vor seinem Feld, auf dem nichts mehr wächst. SRF/Maren Peters

«Jetzt wächst hier kaum noch etwas», sagt der etwa 60-jährige Mann. Er vermutet, dass das Grundwasser durch in den Boden sickernde Fabrikabfälle kontaminiert ist. «Wenn die Kühe das Wasser trinken, geben sie kaum noch Milch.»

Ein paar Hundert Meter weiter zeigt der Aktivist Hemant Hirole in einen Brunnen – früher Trinkwasserquelle für die ganze Region. Das Wasser ist dunkelbraun. Obendrauf schwimmt ein dicker Algenbelag.

Mann in traditioneller Kleidung steht neben einem überdachten Brunnen im Freien.
Legende: Sozialaktivist Henant Hirole sagt, die Behörden würden Wasseruntersuchungen verhindern. SRF/Maren Peters

«Die Umweltbehörde behauptet, das Wasser sei sauber», sagt Hirole. Eine Laboruntersuchung, die das zweifelsfrei beweisen könnte, sei aber verhindert worden.

Containerweise giftiger Abfall aus Bhopal

Wie der Aktivist hat auch Bauer Chopra Angst, dass alles noch viel schlimmer kommen könnte. Denn neben der Ramky-Fabrik stehen seit dem Neujahrstag zwölf versiegelte Container aus Bhopal, schwerbewacht durch Dutzende Polizisten.

Industrieanlage mit Lagertanks und LKWs im Vordergrund.
Legende: Blick auf die zwölf versiegelten Container mit Sondermüll aus Bhopal. SRF/Maren Peters

In den Containern lagern mehr als 300 Tonnen kontaminierte Erde aus Bhopal – Sondermüll der Pestizidfabrik von Union Carbide. Nach der Chemie-Katastrophe Anfang Dezember 1984 war er dort einfach liegengelassen worden. Erst vor wenigen Wochen ordnete ein Gericht an, den Sondermüll zu entsorgen.

In Bhopal gibt es noch viel mehr Giftabfall

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Rachna Dhingra setzt sich seit Jahrzehnten für die Opfer der Katastrophe in Bhopal ein. Sie sagt: Die 337 Tonnen Sondermüll aus der verlassenen Pestizidfabrik von Union Carbide, die abtransportiert worden sind, stellten nur einen Bruchteil der Gesamtmenge dar. Zehntausende Tonnen verseuchter Erde lagerten noch immer in ungesicherten Gruben in und ausserhalb der Fabrik in Bhopal.

Das sei der Grund, warum auch das Grundwasser in der dichtbevölkerten Umgebung der Fabrik mit organischen Schadstoffen und Schwermetallen kontaminiert sei. Die 337 Tonnen, die in Pithampur verbrannt werden sollen, seien nur der Abfall, der an der Oberfläche lagerte. Ihn abzutransportieren und zu verbrennen, werde den Menschen in Bhopal nicht helfen – aber zusätzlichen Schaden in Pithampur anrichten.

Rund 200 Meter neben der Verbrennungsanlage liegt das Dorf Tharapur – mit ein paar Tausend ärmlich gekleideten Bewohnerinnen und Bewohner. Von ihren Hausdächern sind die Container aus Bhopal gut zu sehen.

Dorfstrasse bei hellem Sonnenlicht, umgeben von einfachen Häusern.
Legende: Das Dorf Tarapur mit seinen mehreren Tausend Einwohnerinnen und Einwohnern liegt direkt neben der Verbrennungsanlage. SRF/Maren Peters

«Wenn wir morgens aufwachen, geht es uns schlecht», sagt Trilok Singh Dhawan, ein dürrer alter Mann. Denn nachts, wenn alle schliefen, verbrenne die Fabrik nebenan oft Industrieabfälle. Dann sei die Luft beissend, erschwere das Atmen und treibe ihnen Tränen in die Augen.

«Ein Nachbar ist gerade an Lungenkrebs gestorben», erzählt seine Frau. Ihr Bruder leide an Hautkrebs. Auch die Dörfler befürchten, dass ihre Probleme noch deutlich zunehmen könnten, wenn der Sondermüll aus Bhopal gleich nebenan verbrannt werden sollte.

Gruppe von Menschen steht vor einfachen Häusern.
Legende: Trilok Singh Dhawan hat schon jetzt oft Atembeschwerden und Hautprobleme. Ein Nachbar ist gerade an Krebs gestorben. SRF/Maren Peters

Die Behörden wiegeln ab

Der US-dominierte Konzern Re Sustainability, zu dem die Ramky-Fabrik inzwischen gehört, will sich zu den Vorwürfen nicht äussern. Derweil hat die Regierung von Madhya Pradesh gerade eine Kampagne gestartet, mit der Kernaussage: Alles ist sicher.

Die Ramky-Fabrik arbeite mit neuester Technologie. Und nach 40 Jahren in Bhopal sei der Union-Carbide-Abfall ungefährlich. Auch eine Testverbrennung von zehn Tonnen Bhopal-Abfall vor knapp zehn Jahren habe keine auffälligen Ergebnisse gezeigt.

Wissenschaftler des Krebsforschungsinstituts der nahen Stadt Indore bezweifeln die Aussage und fordern eine unabhängige Untersuchung. Auch viele Bewohner der Stadt Pithampur bleiben skeptisch. 

Mann auf Sofa, hält Dokumente, Holzwand im Hintergrund.
Legende: Anwalt Rajesh Choudary hat eine Petition gegen die Verbrennung eingereicht. SRF/Maren Peters

Tausende haben Anfang Januar gegen die Verbrennung demonstriert. Darunter auch Anwalt Rajesh Choudary. Er hat beim obersten indischen Gericht eine Petition gegen die Verbrennung der Bhopal-Abfälle eingereicht. «Die Abfälle, die hier verbrannt werden sollen, sind so giftig, dass sich die Bhopal-Tragödie hier langsam, in ‹slow-motion›, wiederholen könnte», sagt er.

US-Konzern entzieht sich der Verantwortung

Gerichtsdokumente belegen, dass andere Städte die Verbrennung der Bhopal-Abfälle abgelehnt haben. Der Widerstand in der Bevölkerung war zu gross gewesen.

Bald mehr Krebserkrankungen?

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Person mit rotem Turban und Brille lächelt.
Legende: Krebsforscher Sukvinder Singh Nayyar befürchtet einen Anstieg der Krebserkrankungen – wie in Bhopal. SRF/Maren Peters

«Das wird hier ein Mini-Bhopal, wenn sie den giftigen Abfall verbrennen», sagt Dr. Sukvinder Singh Nayyar, der ebenfalls eine Petition gegen die Verbrennung eingereicht hat. Er ist Krebsforscher und Chef des Institute of Cancer and Stem Cell Research in der Stadt Indore.

Auffallend vieler seiner Patientinnen und Patienten aus der Umgebung der Industrie-Verbrennungsanlage in Pithampur litten an Krebserkrankungen wie Leberkrebs oder Mundhöhlenkrebs, die auf moderne Therapien nicht ansprächen. Er vermutet einen Zusammenhang mit der Verbrennung von Industrieabfällen in Pithampur.

Die Regierung habe den Zusammenhang aber nie untersuchen lassen. «Ich rechne mit einer drastischen Zunahme an Krebserkrankungen in den nächsten Jahren, wenn der Bhopal-Abfall hier verbrannt werden sollte.» In Bhopal liege die Krebsrate bereits deutlich über dem landesweiten Durchschnitt.

«Sollen sie den Abfall doch im Ausland verbrennen», sagt Choudhary. Union Carbide, der Konzern, der für das Bhopal-Desaster verantwortlich war, stamme schliesslich aus den USA.

Doch der US-Konzern, der heute Dow Chemical gehört, hat sich der Verantwortung entzogen, mit einer Einmalzahlung von 470 Millionen Dollar an den indischen Staat – vor gut 35 Jahren.

Den Schaden haben andere, auch noch Jahrzehnte nach der Katastrophe.

Rendez-vous, 14.2.2025, 12:30 Uhr

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