Bauer Shivnarayan Chopra kommt mit dem Motorrad auf sein Feld geknattert. Es liegt bei Pithampur, direkt neben einer Verbrennungsanlage für Industrieabfälle, die hier alle nur Ramky-Fabrik nennen. Chopra hat hier früher Getreide und Linsen angebaut.
«Jetzt wächst hier kaum noch etwas», sagt der etwa 60-jährige Mann. Er vermutet, dass das Grundwasser durch in den Boden sickernde Fabrikabfälle kontaminiert ist. «Wenn die Kühe das Wasser trinken, geben sie kaum noch Milch.»
Ein paar Hundert Meter weiter zeigt der Aktivist Hemant Hirole in einen Brunnen – früher Trinkwasserquelle für die ganze Region. Das Wasser ist dunkelbraun. Obendrauf schwimmt ein dicker Algenbelag.
«Die Umweltbehörde behauptet, das Wasser sei sauber», sagt Hirole. Eine Laboruntersuchung, die das zweifelsfrei beweisen könnte, sei aber verhindert worden.
Containerweise giftiger Abfall aus Bhopal
Wie der Aktivist hat auch Bauer Chopra Angst, dass alles noch viel schlimmer kommen könnte. Denn neben der Ramky-Fabrik stehen seit dem Neujahrstag zwölf versiegelte Container aus Bhopal, schwerbewacht durch Dutzende Polizisten.
In den Containern lagern mehr als 300 Tonnen kontaminierte Erde aus Bhopal – Sondermüll der Pestizidfabrik von Union Carbide. Nach der Chemie-Katastrophe Anfang Dezember 1984 war er dort einfach liegengelassen worden. Erst vor wenigen Wochen ordnete ein Gericht an, den Sondermüll zu entsorgen.
Rund 200 Meter neben der Verbrennungsanlage liegt das Dorf Tharapur – mit ein paar Tausend ärmlich gekleideten Bewohnerinnen und Bewohner. Von ihren Hausdächern sind die Container aus Bhopal gut zu sehen.
«Wenn wir morgens aufwachen, geht es uns schlecht», sagt Trilok Singh Dhawan, ein dürrer alter Mann. Denn nachts, wenn alle schliefen, verbrenne die Fabrik nebenan oft Industrieabfälle. Dann sei die Luft beissend, erschwere das Atmen und treibe ihnen Tränen in die Augen.
«Ein Nachbar ist gerade an Lungenkrebs gestorben», erzählt seine Frau. Ihr Bruder leide an Hautkrebs. Auch die Dörfler befürchten, dass ihre Probleme noch deutlich zunehmen könnten, wenn der Sondermüll aus Bhopal gleich nebenan verbrannt werden sollte.
Die Behörden wiegeln ab
Der US-dominierte Konzern Re Sustainability, zu dem die Ramky-Fabrik inzwischen gehört, will sich zu den Vorwürfen nicht äussern. Derweil hat die Regierung von Madhya Pradesh gerade eine Kampagne gestartet, mit der Kernaussage: Alles ist sicher.
Die Ramky-Fabrik arbeite mit neuester Technologie. Und nach 40 Jahren in Bhopal sei der Union-Carbide-Abfall ungefährlich. Auch eine Testverbrennung von zehn Tonnen Bhopal-Abfall vor knapp zehn Jahren habe keine auffälligen Ergebnisse gezeigt.
Wissenschaftler des Krebsforschungsinstituts der nahen Stadt Indore bezweifeln die Aussage und fordern eine unabhängige Untersuchung. Auch viele Bewohner der Stadt Pithampur bleiben skeptisch.
Tausende haben Anfang Januar gegen die Verbrennung demonstriert. Darunter auch Anwalt Rajesh Choudary. Er hat beim obersten indischen Gericht eine Petition gegen die Verbrennung der Bhopal-Abfälle eingereicht. «Die Abfälle, die hier verbrannt werden sollen, sind so giftig, dass sich die Bhopal-Tragödie hier langsam, in ‹slow-motion›, wiederholen könnte», sagt er.
US-Konzern entzieht sich der Verantwortung
Gerichtsdokumente belegen, dass andere Städte die Verbrennung der Bhopal-Abfälle abgelehnt haben. Der Widerstand in der Bevölkerung war zu gross gewesen.
«Sollen sie den Abfall doch im Ausland verbrennen», sagt Choudhary. Union Carbide, der Konzern, der für das Bhopal-Desaster verantwortlich war, stamme schliesslich aus den USA.
Doch der US-Konzern, der heute Dow Chemical gehört, hat sich der Verantwortung entzogen, mit einer Einmalzahlung von 470 Millionen Dollar an den indischen Staat – vor gut 35 Jahren.
Den Schaden haben andere, auch noch Jahrzehnte nach der Katastrophe.