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50 Jahre seit dem Skandal Das mächtige Vermächtnis von Watergate

1972 brachen fünf Männer in den Watergate-Bürokomplex ein. Was sie damit lostraten, verfolgt die USA bis heute.

Watergate teilt die Zeit in den USA in ein Vorher und Nachher. Es ist der Moment, in dem das Vertrauen der Amerikanerinnen und Amerikaner in ihre Regierung und ihre Politiker zerbricht. Und nie wiederkehrt.

Das Vermächtnis des Einbruchs von fünf Männern mit Verbindungen ins Weisse Haus ins Hauptquartier der demokratischen Partei im Watergate-Bürokomplex ist bis heute spürbar. Denn der darauffolgende Skandal, in dessen Zentrum zunehmend Präsident Richard M. Nixon gerät, und an dessen Ende der bisher einzige Rücktritt eines amerikanischen Präsidenten steht, hat die amerikanische Politik und die Haltung der Öffentlichkeit gegenüber ihren Politiker:innen grundlegend verändert.

Mit der Präsidentschaft von Donald Trump erhält Watergate zudem eine neue Dringlichkeit. Denn die Bilder von den Anhörungen des Untersuchungsausschusses des Repräsentantenhauses, der seit einer Woche die versuchte Verweigerung der Amtsübergabe durch Donald Trump und den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 untersucht, gleichen in frappanter Weise denjenigen der Watergate-Anhörungen. Und auch die Aussagen tönen so, als lägen keine 50 Jahre zwischen Watergate und heute.

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Bennie Thompson: «Das mindeste, das wir erwarten können»
Aus News-Clip vom 17.06.2022.
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Zum Beispiel dann, wenn Bennie Thompson, der demokratische Vorsitzende des aktuellen Untersuchungsausschusses, die öffentliche Anhörung einleitet mit den Worten: «Das mindeste, das wir von Leuten in öffentlichen Ämtern erwarten können, ist, dass sie den Willen des Volkes akzeptieren.»

Vom Machtmissbrauch Nixons zum Machtmissbrauch Trumps

Auch wenn die Geschichten von Richard Nixon und Donald Trump zwei gänzlich unterschiedliche Geschichten sind, sind die Parallelen zwischen den beiden Präsidenten unübersehbar: Beide waren beziehungsweise sind rücksichtslos. Sie verfolg(t)en eine Politik, der es einzig darum geht, zu gewinnen, was immer es koste. Und im Kern ihrer Persönlichkeit steht eine autoritäre Haltung, die vor kriminellen Aktionen nicht zurückschreckt, um an die Macht zu kommen oder um an der Macht zu bleiben.

So kam es zum Skandal:

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  • 17. Juni 1972: Fünf Männer brechen in die Zentrale der Demokratischen Partei im Watergate-Bürkomplex in Washington DC ein und werden dabei erwischt. Sie sind Teil einer Eingreiftruppe mit Verbindungen ins Weisse Haus. Die «Klempner» sollen Unliebsames aus der Welt schaffen oder kompromittierendes Material über die politischen Gegner von Präsident Richard Nixon ausfindig machen.
  • 20. Juni 1972: Die Festnahme der Männer bleibt unter dem Radar der Öffentlichkeit. Erst drei Tage später machen die beiden «Washington Post»-Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein publik, dass einer der Einbrecher Verbindungen bis ins Weisse Haus hatte. Ihre Quelle ist der Informant «Deep Throat».
  • 23. Juni 1972: Im Weissen Haus bricht Hektik aus: Der oberste Berater von Präsident Nixon, H.R. Haldemann gibt die Order ans FBI, dass sich dieses aus der Angelegenheit raushalten solle. Wie viele weitere Gespräche und Telefonate werden auch diese Worte auf Tonband aufgenommen – ein folgenschwerer Fehler, wie sich noch herausstellen sollte.
  • 1. November 1972: Der Einbruch in den Watergate-Komplex hat zunächst keine direkten Folgen für den Präsidenten. Er wird mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt.
  • 21. März 1973: Während die Öffentlichkeit noch mehrheitlich in Unwissenheit schwelgt, wird man im Weissen Haus nervöser. Berater Richard Dean moniert gegenüber seinem Chef, dass «ein Krebsgeschwür» die Präsidentschaft belaste. Nur wenige Wochen später beginnt er mit dem Sonderausschuss, der sich zum Fall gebildet hatte, zu kooperieren. Ende April wird Dean von seiner Stelle entlassen.
  • 17. Mai 1973: Der parlamentarische Sonderausschuss in der Watergate-Affäre nimmt seine Arbeit auf. Die Anhörungen werden live im TV übertragen. John Dean erklärt darin, mindestens 35-mal mit dem Präsidenten über den Einbruch im Watergate gesprochen zu haben.
  • 20. Oktober 1973: Beim sogenannten «Saturday Night Massacre» feuert Richard Nixon eine ganze Reihe hochrangiger Mitarbeiter, nachdem diese sich geweigert hatten, den Sonderermittler in der Watergate-Angelegenheit, Archibald Cox, seines Amtes zu entheben.
  • 17. November 1973: Wegen der Veröffentlichungen sieht sich der Präsident zum Handeln gezwungen. In einer TV-Ansprache erklärt er: «Ich bin kein Verbrecher» und dementiert, den Einbruch vertuscht zu haben.
  • 4. März 1974: Knapp zwei Jahre nach dem Einbruch ins DNC-Hauptquartier hat der Skandal endgültig die höchste politische Ebene erreicht. Sieben der engsten Mitarbeiter von Präsident Nixon werden vom Sonderausschuss angeklagt. Zwei Monate später beginnt das Repräsentantenhaus ein Impeachment-Verfahren gegen den Präsidenten.
  • 15. Juni 1974: Die beiden «Washington Post»-Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein veröffentlichen ihr Enthüllungsbuch «All the President's Men». Erst über 30 Jahre später, im Jahr 2005, wird bekannt, wer hinter der Pseudonym «Deep Throat» steckte: Es war Mark Felt, ein hochrangiger FBI-Mitarbeiter.
  • 24. Juli 1974: Die Ereignisse überschlagen sich. Der Supreme Court, das oberste Gericht der USA entscheidet, dass die Nixon-Administration die Tonbänder in der Watergate-Affäre aushändigen soll. Gleichzeitig rückt im Kongress eine Abstimmung über die Amtsenthebung immer näher. Mehrere hochrangige Republikaner erklären dem Präsidenten, einer solchen zuzustimmen.
  • 8. August 1974: Am Abend erklärt Richard Nixon in einer live übertragenen TV-Rede seinen Rücktritt – bis heute das einzige Mal in der Geschichte der US-Politik, dass ein Präsident freiwillig zurücktritt. Einen Tag später steigt er auf dem Rasen vor dem Weissen Haus in einen Helikopter und verabschiedet sich für immer aus der US-Politik.

«Viele sehen Watergate als einen stümperhaften Einbruch in das Hauptquartier der Demokraten, gefolgt von stümperhaften Vertuschungsversuchen, die am Ende den Präsidenten seine Präsidentschaft gekostet haben. Aber das ist nicht das wirklich Wichtige an Watergate» sagt John Dean, er war damals Rechtsberater von Präsident Nixon, als die Watergate-Affäre begann.

Nixon hat seine Macht als Präsident missbraucht. Das ist der Kern von Watergate.
Autor: John Dean Ehemaliger Rechtsberater von Präsident Nixon

«Was Watergate wirklich ans Licht befördert hat, ist, dass das Weisse Haus unter Nixon seine Macht missbrauchte. Nixon hat seine Macht also als Präsident missbraucht. Das ist der Kern von Watergate.»

Und das ist der Grund, weshalb sich John Dean 50 Jahre später in einem Hotelzimmer in New York vor unsere Kamera setzt und redet: «Wir schauen heute auf Watergate mit dem Wissen um die Präsidentschaft von Donald Trump und ihrem massiven Machtmissbrauch. Das macht es so wichtig, die Watergate-Geschichte heute wieder in Erinnerung zu rufen.»

Fatale Lageeinschätzung im Weissen Haus

John Dean ist in der Nacht auf den 17. Juni 1972 gerade auf dem Rückweg von einer Reise nach Manila. Als er bei der Zwischenlandung in San Francisco seinen Stellvertreter anruft, um ihm mitzuteilen, dass er nach der Überquerung von zwei Datumsgrenzen innerhalb von 48 Stunden in San Francisco bleiben wolle, um auszuschlafen, teilt ihm dieser mit, dass seine Vorgesetzten ihn suchen würden. «Ich fragte: weshalb? Er antwortete mir: Jemand hat Blödsinn gemacht im Hauptquartier der Demokraten.»

Doch Dean ist zunächst wenig beunruhigt. Auch das Weisse Haus nicht: «Ich denke nicht, dass irgendjemand im Weissen Haus Nixons verstand, was für eine gefährliche Situation dieser Einbruch hervorrief.»

Die wichtigsten Köpfe des Watergate-Skandals
Legende: All the President's Men Eine Riege von Beratern rund um Präsident Richard Nixon wurde durch Watergate schwer belastet. Auch John Dean (unten rechts) gehörte dazu. Getty Images

Allmählich dämmert es Dean. Er versucht Nixon zu warnen: «Ich sagte dem Präsidenten, dies werde ein Krebsgeschwür für seine Präsidentschaft. Ich erklärte ihm auch, weshalb. Aber ich merkte, dass ich ihn nicht überzeugte. Da sagte ich ihm geradeheraus: Mister President, dafür werden Leute ins Gefängnis wandern. Er schaute mich an und fragte: was für Leute? Und ich sagte: Leute wie ich!» Doch Präsident Nixon will nichts davon wissen und leugnet wider besseres Wissen jede Beteiligung oder Mitwisserschaft am Einbruch und den darauffolgenden Vertuschungsversuchen. Nixon erklärt öffentlich: «Ich war weder Teil einer Vertuschung, noch habe ich davon gewusst.»

Watergate in der Popkultur:

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Legende: Verfilmung von «All the President's Men» Zwei Jahre nach dem Buch kam der gleichnamige Film mit den beiden jungen Talenten Robert Redford und Dustin Hoffmann raus. imago images
  • «All the President's Men» – Im Sommer des Jahres 1974 veröffentlichen die beiden «Washington»-Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein ihr Enthüllungsbuch. Bis heute wird es als Grundlagenwerk im Journalismus betrachtet und hat diesen nachhaltig verändert. Als Quelle diente den beiden Jungjournalisten damals «Deep Throat». Erst 2005 wurde bekannt, wer sich hinter dem Pseudonym versteckte - Mark Felt. Ein hochrangiger Mitarbeiter des FBI. Bob Woodward und Carl Bernstein sind bis heute gewichtige Stimmen in der US-Politik. Ersterer hat bislang 21 Bücher zum Thema veröffentlicht.
  • #Gate: Der Name des Bürokomplexes in der US-Hauptstadt ist zum Synonym einer politischen Krise geworden. Seither wird das «-gate» gern bei allem angehängt, was nach Skandal riecht - egal wie gross oder klein.
  • «Gaslit» (2022): Julia Roberts spielt in der neuen TV-Serie Martha Mitchell, der Ehefrau des damaligen US-Generalstaatsanwalts in der Nixon-Administration. Trotz ihrer privaten Verbindungen ging Mitchell mit ihrem Wissen zur Watergate-Vertuschung an die Öffentlichkeit.

Doch genau das ist falsch. Nixon ist zutiefst verstrickt in die Vertuschungsaktionen, weist seine Berater sogar an, den Einbrechern Schweigegeld zu bezahlen. In Washington beginnen die Schuldzuweisungen. Das Time-Magazine stellt Nixon als das Zentrum dar, das von nichts gewusst haben will. Um ihn herum seine Berater – auch John Dean.

Der verweigerte Sündenbock

Am Ende ist es Dean, der vor dem Ausschuss, der die Affäre untersucht, den Bann bricht. In einer Anhörung wird Dean gefragt: «Denken Sie, dass der Präsident wusste, welche juristischen Auswirkungen diese Vertuschungsversuche hatten?» Dean versucht zunächst auszuweichen: «Ich kann nicht in den Kopf des Präsidenten schauen…» Doch die Ermittler lassen nicht locker: «Anhand der Tatsachen, von denen sie uns zuvor berichtet haben…?» «Anhand der Tatsachen, von denen ich diesem Ausschuss berichtet habe, kann ich davon ausgehen, dass der Präsident mit Sicherheit verstand, was für rechtliche Probleme vorliegen.»

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John Dean über seine Aussagen vor dem US-Kongress
Aus News-Clip vom 17.06.2022.
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Dean weiss genau, was er mit seiner Aussage tat: «Ich hatte nicht Angst davor, dass sie mich zum Sündenbock machen wollten. Ich habe mich schlicht geweigert, der Sündenbock zu sein. Ich habe die Vertuschung auf die nächste Ebene gehievt. Aber ich habe sie nicht davonkommen lassen.»

Immer mehr Fakten dringen an die Öffentlichkeit. Am Ende entdecken die Ermittler ein ganzes System von Abhöranlagen, mit denen Präsident Nixon im Geheimen Gespräche aufzeichnen lässt. Auch seine eigenen. Als der Oberste Gerichtshof den Präsidenten zwingt, die Tonbänder, die alles aufgezeichnet haben, auszuhändigen, ist dies der Anfang vom Ende von Präsident Nixon.

Richard Nixon mit ausgestreckten Armen und die Finger in V-Pose im Eingang eines Helikopters
Legende: Das Ende von Richard Nixon Am 9. August 1974 verabschiedete sich Richard Nixon vom grossen Parkett. Es ist der bis heute einzige freiwillige Rücktritt eines amtierenden US-Präsidenten. Keystone

Der Unterschied zwischen Nixon und Trump

John Dean, der ehemalige Rechtsberater von Präsident Nixon, zieht eine direkte Linie vom Machtmissbrauch von damals zum Machtmissbrauch unter Präsident Trump: «Die Anhörungen des Untersuchungsausschusses zum 6. Januar sind ausserordentlich wichtig. Wenn sie es nicht schaffen, der amerikanische Öffentlichkeit klarzumachen, dass etwas sehr Beunruhigendes mit unserer Demokratie vor sich geht, dann ist das Land in Gefahr. Dann ist die Welt in Gefahr. Ich weiss nicht, wie es ausgehen wird. Aber ich weiss genug über unser Staatswesen, um mir Sorgen zu machen.»

Nixon hatte ein Gewissen, Trump nicht.
Autor: John Dean Ehemaliger Berater von Richard Nixon

Der Unterschied zwischen Nixon und Trump sei, so sagt Dean, dass Nixon am Ende doch ein Gewissen gehabt habe. Als der Oberste Gerichtshof von Nixon verlangt habe, die Tonbänder auszuhändigen, habe dieser verstanden, dass er dies tun müsse: «Ich sah keine Verfassungskrise während Watergate. Aber ich sehe eine Verfassungskrise mit Donald Trump. Wäre Trump in der Situation von Nixon gewesen, ich bin mir sicher, er hätte die Tonbänder nicht herausgerückt.»

Der Mann, der im Zentrum der Nixon-Affäre stand, ist besorgt darüber, dass sich autoritäres Verhalten erneut Bann bricht. Wie damals, bei Watergate.

SRF 10vor10, 17.6.22, 21:50 Uhr

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