- In Brasilien wurden in einem Jahr 8.7 Millionen Menschen aus der Armut geholt.
- Die Zahl der Armen sank damit zwischen 2022 und 2023 von 67.7 Millionen auf 59 Millionen, wie das brasilianische Institut für Geografie und Statistik (IBGE) mitteilte.
- Sozialprogramme und höhere Einkommen spielen dabei eine Schlüsselrolle.
Auch aus der extremen Armut konnten rund 3.1 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer geholt werden. In absoluten Zahlen sank die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen von 12.6 Millionen auf 9.5 Millionen. Es ist der niedrigste Stand von Armut und extremer Armut seit Beginn der IBGE-Aufzeichnungen 2012.
Die Armut wurde einem IBGE-Analysten zufolge durch Sozialprogramme und die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt verringert. Die Arbeitseinkommen seien zwischen 2022 und 2023 um 7.1 Prozent gestiegen. Zugleich habe eine grössere Anzahl von Familien von Programmen wie der Familiensozialhilfe Bolsa Familia profitiert.
Hinter diesen Sozialprogrammen steckt Präsident Lula da Silva. Er hat das Programm Bolsa Familia 2023 stabilisiert, nachdem es während seiner früheren Amtszeit in den 2000er-Jahren bereits erfolgreich war.
«Ungefähr ein Viertel aller Familien in Brasilien erhält einen kleinen Transfer. Das hat dazu geführt, dass die Armutsreduzierung so deutlich war», sagt Barbara Fritz, Professorin am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin. Sie betont, dass neben der Reaktivierung des Programms auch der wirtschaftliche Aufschwung eine Rolle in der Armutsbekämpfung gespielt hat.
Beim Programm Bolsa Familia handelt es sich um ein «Conditional Cash Transfer»-Modell. Das Modell ist im Globalen Süden sowie in Entwicklungs- und Schwellenländern weitverbreitet. Dabei erhalten arme Familien monatliche Zahlungen, gerichtet nach Einkommensgrenzen, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen.
Kinder sind beispielsweise verpflichtet, die Schule zu besuchen, sich impfen zu lassen und regelmässige Gesundheitskontrollen wahrzunehmen. Entscheidend bei der Höhe des Betrags seien das sehr niedrige Einkommen oder die völlige Arbeitslosigkeit, erklärt Fritz.
Langfristige Auswirkungen des Sozialprogramms
Die Wirkung dieser Transfers ist umstritten. Kritikerinnen und Kritiker sehen darin die Gefahr, dass die Empfänger dadurch abhängig vom Staat werden. «Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern, die oft wenig Erfahrung mit Sozialpolitik haben, wird das Programm manchmal als reine Staatsalimentierung abgetan», sagt die Lateinamerika-Expertin Fritz. Befürworter hingegen sehen darin die Chance, dass Menschen sich aus der Armut befreien.
Und tatsächlich zeige eine internationale Studie die positiven Effekte von Bolsa Familia, so Barbara Fritz: Kinder von Empfängerinnen gingen fast ein Jahr länger in die Schule als Kinder ohne Unterstützung. Zudem fanden sie schneller in den Arbeitsmarkt. «Aus ökonomischer Sicht kann man sagen, das Programm hilft den Menschen auch längerfristig.»
Gleichzeitig bleibt die Höhe der gezahlten Beträge sehr gering. Berechnungen des gewerkschaftsnahen brasilianischen Statistikinstituts zufolge wäre etwa das Fünffache des aktuellen Transferbetrags notwendig, um ein Existenzminimum für eine Familie zu sichern. Fritz bilanziert: «Die Menschen bleiben arm.»