Die Vereinten Nationen – oder kurz die UNO – feiern dieses Jahr ihr 75-jähriges Jubiläum. Warum dies nur bedingt ein Grund zum Feiern ist, erläutert SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck im Interview.
SRF News: Die UNO feiert dieses Jahr ihr 75-jähriges Jubiläum. Ein Grund zum Feiern?
Sebastian Ramspeck: Die UNO gibt zurzeit ein schlechtes Bild ab, sie ist in schlechter Verfassung. Es gibt also nur bedingt einen Grund zum Feiern. Dennoch, wenn es die UNO nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Denn sie ist die einzige Begegnungsstätte für alle Staaten der Welt, grosse und kleine, arme und reiche, Demokratien und Diktaturen. Man müsste sie erfinden, aber in anderer Form.
Welches ist die grösste Schwäche der Vereinten Nationen?
Die UNO wird 75 und ist immer noch gleich aufgebaut wie bei Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg. Im mächtigsten Gremium, dem Sicherheitsrat, haben fünf Staaten ein Veto-Recht. Die UNO ist also immer nur dann handlungsfähig, wenn sich die USA, Frankreich, Grossbritannien, Russland und China einig sind. Und dies ist leider selten der Fall.
Historische Reden vor der UNO
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Bild 1 von 16. 10. Januar 1946. Die erste UNO-Generalversammlung findet in der Central Hall des Londoner Westminsters statt. Dabei konstituierte sich der UNO-Wirtschafts- und Sozialrat. 51 Nationen nahmen daran teil. Unterzeichnet wurde die Charta der Vereinten Nationen am 26. Juni 1945 in San Francisco von 50 der 51 Gründungsmitgliedern. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 16. 12. Oktober 1960. Während der Rede eines philippinischen Delegierten sah der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow rot und beschimpfte den Diplomaten als «Speichellecker des amerikanischen Imperialismus». Damit nicht genug, soll Chruschtschow zum Rednerpult gestürmt sein und mit seinem Schuh darauf eingeschlagen haben. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 16. 11. Dezember 1964. Ernesto Guevara hielt 1964 als Kubas Industrieminister eine vielbeachtete Rede vor den Vereinten Nationen. Er kritisierte aus seiner Sicht die damalige Aussenpolitik der USA scharf und äusserte sich zur Frage atomarer Bewaffnung der NATO-Länder und zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 16. 4. Oktober 1965. Als Papst Paul VI. vor den Vertretern der Staatengemeinschaft sprach, feierte ihn die Weltgemeinschaft. Von einer historischen Ansprache war die Rede. «Nie mehr Krieg! Nie mehr! Es ist der Friede, der Friede, der das Geschick der Völker und der ganzen Menschheit leiten muss!» Doch positives Echo hin oder her, die Papst-Worte verhallten ungehört. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 16. 13. November 1974. Jassir Arafat war der erste Redner vor der UNO-Generalversammlung, der nicht als Staats- oder Regierungsvertreter sprach. Schon vor seiner Ansprache sorgte der Palästinenserführer für erhitzte Gemüter. Schuld daran sein Outfit – und damit war für einmal nicht sein Palästinensertuch gemeint. Vielmehr trug Arafat auch ein Pistolenhalfter. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 16. 7. Dezember 1988. Michail Gorbatschow verkündete 1988, dass die Sowjetunion einseitig und ohne vertragliche Verpflichtung im grossen Stil abrüsten werde. Um eine halbe Million Soldaten, tausende Panzer und Artilleriesysteme sowie hunderte Kampfflugzeuge werde die Rote Armee reduziert. Ein Paukenschlag zur damaligen Zeit. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 16. 13. September 2002. Die Schweiz hatte sich lange geziert, Mitglied der Vereinten Nationen zu werden. 2002 aber war es dann so weit. Die erste Rede für das neue UNO-Mitglied hielt Aussenminister Joseph Deiss. Darin legte dieser vor allem auf die Feststellung wert, dass die Neutralität kein Hindernis für eine konstruktive Zusammenarbeit mit der UNO darstelle. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 16. 6. Februar 2003. Das ist der «Schandfleck meiner Karriere», sollte Colin Powell später sagen. In einer Präsentation vor dem Sicherheitsrat hatte der US-Aussenminister Beweise für irakische Massenvernichtungswaffen vorgelegt. Damit sollte die Invasion gerechtfertigt werden. Aber weder fahrbare Labore noch Belege für die Uran-Anreicherung wurden später gefunden. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 16. 20. September 2006. Unverblümte Attacke: Venezuelas inzwischen verstorbener Präsident Hugo Chavez stieg 2006 auf die Bühne und bemerkte: «Es riecht immer noch nach Schwefel». Chavez deutete auf das Pult, von dem George W. Bush 24 Stunden zuvor seine Rede gehalten hatte. «Gestern war der Teufel hier, genau hier», sagte Chavez und bekreuzigte sich dabei. Bildquelle: Keystone.
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Bild 10 von 16. 22. September 2009. 15 Minuten sollten es werden – am Ende waren es 90. Aber nicht nur damit sorgte Muammar al-Gaddafi vor der Generalversammlung für einen historischen Moment. Weil er ohne Manuskript redete, improvisierte und zum Teil abrupt das Thema wechselte, soll er sogar einen Dolmetscher an den Rand eines Zusammenbruchs gebracht haben. Bildquelle: Keystone.
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Bild 11 von 16. 22. September 2009. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hetzte gegen Israel und präsentierte Verschwörungstheorien zu den Anschlägen vom 11. September. Den Westen und Amerika brandmarkte er als Verantwortliche für Weltkriege, Massenmord und Vertreibung. Die Adressaten seiner Rede verfehlte Ahmadinedschad. Sie hatten bereits zuvor demonstrativ den Saal verlassen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 12 von 16. 27. September 2012. Um vor dem iranischen Atomprogramm zu warnen, präsentierte Israels Premier Benjamin Netanjahu ein Plakat mit einer Comic-Bombe. Während seiner Rede zückte er schliesslich einen roten Filzstift und markierte eine rote Linie, die aus Sicht Israels nicht überschritten werden dürfe. Nur so könne der Iran vom Bau einer Atombombe abgehalten werden. Bildquelle: Reuters.
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Bild 13 von 16. 12. Juli 2013. Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai appellierte in ihrer Rede an die Staaten, Schulbildung für alle Kinder sicherzustellen. «Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern», betonte Malala in einer leidenschaftlichen Rede. Diese Ansprache war ihr erster grosser Auftritt, nachdem Islamisten versucht hatten, sie zu töten. Bildquelle: Reuters.
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Bild 14 von 16. 24. September 2019. Ihre Wutrede hielt Klimaaktivistin Greta Thunberg am UNO-Klimagipfel. Die 16-Jährige klagte, dass die Politiker die Probleme der Welt nicht verstehen. «Ihr lasst uns im Stich.» Neben den Klimaproblemen machte sie darauf aufmerksam, dass das immer anhaltende wirtschaftliche Wachstum ein Märchen sei. Thunberg war für die Rede nach New York gesegelt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 15 von 16. 24. September 2019. Seine Rede vor der UNO hat US-Präsident Donald Trump dazu genutzt, um die vertretenen Staaten dazu aufzurufen, gegen den Iran Stellung zu beziehen. «Keine verantwortungsbewusste Regierung sollte die Blutrünstigkeit des Iran fördern», betonte Trump. Die Fronten zwischen den Staaten sind verhärtet, die USA drohen mit weiteren Sanktionen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 16 von 16. 5. Februar 2020. Ende 2019 sah UNO-Generalsekretär António Guterres noch Hoffnung für die Welt. Anfang 2020 holte er dann zum Rundumschlag aus. «Ich habe kürzlich über den Wind der Hoffnung geredet, aber heute fegt der Wind des Wahnsinns über die Welt», sagte Guterres. Vor allem über den Bürgerkrieg in Libyen sei er zutiefst frustriert. Bildquelle: Keystone.
Welches sind die grössten Misserfolge der UNO?
Wenn sich die fünf Staaten nicht einig sind, versagt die UNO als Friedensorganisation. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit ereignen sich schreckliche Kriege und Kriegsverbrechen, aktuell unter anderem in Syrien und in der Ukraine.
Die UNO gibt zur Zeit ein schlechtes Bild ab, sie ist in schlechter Verfassung.
Zudem tut sich die UNO mit neuen Aufgaben schwer. Mit Seuchen wie dem Coronavirus hat sich der UNO-Sicherheitsrat als oberstes UNO-Gremium nie beschäftigt, auch angesichts anderer globaler Probleme wie Klimawandel oder Migration ist die UNO schwach.
Auf welche Erfolge kann die UNO zurückblicken?
Sind sich die fünf Staaten einig, kann die UNO durchaus Frieden vermitteln oder erzwingen und für internationales Recht sorgen. So zum Beispiel 1991 bei der Befreiung von Kuwait mit einem UNO-Mandat nach der Annexion durch den Irak, 1993 bei der Schaffung der Kriegsverbrecher-Tribunale für Jugoslawien oder aktuell beim Waffenstillstand in Hudaida, Jemen.
Sind sich die fünf Staaten einig, kann die UNO durchaus Frieden vermitteln.
Sie unterhält Unterorganisationen wie zum Beispiel die Weltorganisation für Meteorologie, die sich um ganz praktische Dinge kümmern. Zudem kümmert sie sich auch um ganz praktische Regeln, wie zum Beispiel die Harmonisierung der Strassenverkehrsregeln in grossen Teilen der Welt.
Die USA drohen der UNO mit Beitragskürzungen. Was bedeutet das für die Vereinten Nationen?
Dies schadet der UNO und nützt China. China ist in der UNO je länger je präsenter und übt als zweitgrösster Beitragszahler Einfluss auf ärmere Staaten aus, vor allem in Asien und Afrika. China nützt also das Vakuum, welches die USA bei ihrem Rückzug hinterlassen.
Die bisherigen UNO-Generalsekretäre
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Bild 1 von 9. Trygve Lie. Der Norweger Trygve Lie (links) wurde 1946 zum ersten offiziell ernannten Generalsekretär der Vereinten Nationen gewählt. Nach der Gründung der UNO 1945 hatte der Brite Gladwyn Jebb (rechts) kurz deren Vorsitz. Zu Lies Verdiensten gehört die Erklärung der Menschenrechte. 1952 trat er frustriert zurück, wegen der Konflikte zwischen Ost und West. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 9. Dag Hammarskjöld. Der parteilose schwedische Staatssekretär war von 1953 bis 1961 UNO-Generalsekretär. Bei seiner Wahl bestanden Zweifel an seiner Fähigkeit für dieses Amt. Doch schliesslich war Hammerskjöld so erfolgreich, dass er 1961 den Friedensnobelpreis erhielt. Entgegennehmen konnte er ihn allerdings nicht. Er starb kurz vorher bei einem Flugzeugabsturz. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 9. Sithu U Thant. Der Burmese Sithu U Thant war der dritte Generalsekretär der UNO. Der frühere Informationsminister Burmas bemühte sich in seiner Amtszeit (1961-1971) um den Ausgleich zwischen Ost und West und um die Förderung der dritten Welt. Allerdings gelang es ihm nicht, den Einfluss der UNO zu verstärken. 1973 erhielt er den UNO-Menschenrechtspreis . Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 9. Kurt Waldheim. Der Österreicher war Aussenminister, bevor er 1972 UNO-Generalsekretär wurde. Seine dritte Bewerbung als Generalsekretär wurde 1981 durch das Veto Chinas zu Fall gebracht. Als Bundespräsident Österreichs (1986-1992) holte ihn die sog. Waldheim-Affäre ein: die Debatte um die seine vermutete Beteilung an Nazi-Kriegsverbrechen. Er dementierte stets. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 9. Javier Pérez de Cuéllar. Der Peruaner de Cuéllar war vor seiner Zeit bei der UNO Botschafter. Unter anderem auch in der Schweiz. 1982 übernahm er für acht Jahre das Amt des UNO-Generalsekretärs. Er vermittelte in der Folge des Falkland-Krieges zwischen Grossbritannien und Argentinien. Später war er Premierminister Perus. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 9. Boutros Boutros-Ghali. Der Ägypter war der erste Afrikaner an der Spitze der UNO. Der Jurist war Generalsekretär von 1992 bis 1996. In seine Amtszeit fielen zahlreiche Friedensmissionen, so in Somalia oder im ehemaligen Jugoslawien. Seine Wiederwahl für eine zweite Amtszeit scheiterte am Widerstand der USA. Boutros-Ghali starb im Februar 2016. Bildquelle: Reuters.
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Bild 7 von 9. Kofi Annan. Kofi Annan aus Ghana war von 1997 bis 2006 der siebte Generalsekretär der UNO und der erste schwarze. In Kofi Annans Zeit fiel der Irak-Krieg. Zudem leitete er eine Reform der Vereinten Nationen ein. Kofi Annan pflegte auch gute Beziehungen mit der Schweiz. Legendär sind gemeinsame Wanderungen mit dem früheren SVP-Bundesrat Adolf Ogi. Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 9. Ban Ki-moon. Der Südkoreaner war von 2007 bis Ende 2016 Generalsekretär der UNO. Sein Amtsantritt war schwierig, da er sich nicht explizit von der Hinrichtung Saddam Husseins distanzierte. Dafür erntete er Kritik. Als erster UNO-Generalsekretär nahm Ban Ki-Moon an einer Friedenszeremonie in Hiroshima teil und forderte die Abschaffung aller Atomwaffen. Bildquelle: Reuters.
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Bild 9 von 9. António Guterres. Seit dem 1. Januar 2017 leitet der Portugiese António Guterres die Geschicke der UNO. Guterres war Premierminister Portugals. Von 2005 bis 2015 hatte er das Amt als Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen inne. In seiner Neujahrsbotschaft für 2019 betonte Guterres, dass die Welt derzeit einen «Stresstest» durchlaufe. Bildquelle: Keystone.
Generalsekretär António Guterres will die UNO reformieren. Was genau könnte unternommen werden?
Die UNO ist sehr bürokratisch, 193 Mitgliedsstaaten wollen mitreden, vertreten sein und ihre Interessen aktiv durchsetzen. Eine Schlankheitskur, beispielsweise die Zusammenlegung von Abteilungen wäre dringend nötig. Man müsste auch Entscheidungsprozesse verschlanken. Das würde allerdings konsequenterweise heissen, die fünf Veto-Mächte geben Macht ab. Dies ist unwahrscheinlich. Erst recht in der heutigen Zeit, wo Misstrauen und Rivalität zwischen USA und China immer mehr zunehmen.
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