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80 Jahre Faschismus-Befreiung Mussolini-Kenner Scurati ortet beunruhigenden Wandel

Italien feiert 80 Jahre Faschismus-Befreiung. Doch Antonio Scurati sieht einen Wandel in der Zeit.

Am 25. April feiert Italien zum 80. Mal die Befreiung vom Faschismus. Früher sprachen an diesem nationalen Feiertag oft ehemalige Widerstandskämpfer, Partisaninnen und Partisanen, über ihren Kampf gegen Mussolini und die Diktatur. Heute ist der Tag in Italien oft ein Anlass, um über Freiheit und Demokratie nachzudenken.

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Legende: Benito Mussolini (1883–1945) als Führer (Duce) der Nationalen Faschistischen Partei, der das Land von 1922 bis zu seiner Absetzung im Jahr 1943 als Ministerpräsident regierte. Keystone / AP Photo / Archiv

Eine der prominentesten Stimmen ist dabei jene von Antonio Scurati. Der Schriftsteller schrieb in den letzten Jahren fünf Bücher über Mussolini und den italienischen Faschismus.

Faschismus und Mussolini wieder aktuell

Scurati begann vor zehn Jahren, historische Romane über Mussolini zu schreiben. Damals fragten ihn viele: Sind Mussolini und der Faschismus überhaupt noch aktuell? Das frage ihn heute niemand mehr. Warum das so ist, erklärt Scurati an einem Beispiel.

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Legende: Meloni (links) und Bannon 2018 an einer Veranstaltung. Keystone / MASSIMO PERCOSSI / Archiv

Steve Bannon ist ein ehemaliger Berater von US-Präsident Trump. Der sehr einflussreiche Bannon erhob an einem Treffen Rechtskonservativer seinen Arm zum faschistischen Gruss, wie einst Mussolini.

Den faschistischen Gruss habe Bannon nicht als Symbol der Vergangenheit, sondern der Zukunft ganz bewusst gewählt, sagt Scurati.

Liberale Demokratien unter Druck

Was ist Faschismus, wer war Mussolini? Diese Fragen seien heute wieder aktuell und beschäftigten viele. Denn die liberale Demokratie sei unter Druck. Das zeige sich unter anderem an einem eben erst beschlossenen Gesetz in Italien.

Der grosse Unterschied zwischen dem Populismus von heute und dem Faschismus von gestern ist die Gewalt.
Autor: Antonio Scurati Schriftsteller

Als Beispiel antiliberaler Tendenzen nennt Scurati das sogenannte Sicherheitsdekret der Regierung Meloni. Es schränkt die Demonstrationsfreiheit ein. Oder Meloni versuche, mit ihrer Justizreform die Unabhängigkeit der Gerichte zu beschneiden.

Die liberale Demokratie sei auch in anderen Staaten unter Druck. Und trotzdem würde er in Europa, wie in den USA und Südamerika, keinen regierenden Politiker als Faschisten bezeichnen.

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Legende: Antonio Scurati schreibt seit zehn Jahren historische Romane über Mussolini. Keystone / FABIO FRUSTACI

«Der grosse Unterschied zwischen dem Populismus von heute und dem Faschismus von gestern ist die Gewalt», so Scurati. Denn Mussolini habe von Anfang an systematisch auf physische Gewalt gesetzt.

Doch ganz so sicher, dass Gewalt heute keine Rolle mehr spielt, ist sich Scurati nicht. Und verweist auf den Sturm aufs amerikanische Kapitol nach der Wahlniederlage Trumps oder auf die angedrohte Besetzung von Grönland.

Am Tag, an dem Italien den Sieg über den Faschismus feiert, sagt Scurati, sei Antifaschismus eine Bürgerpflicht. Und er erklärt, warum in Italien trotzdem, kurz nach dem Krieg schon, eine neofaschistische Partei entstand.

Viele Kader des faschistischen Italiens hätten den Tod Mussolinis überlebt und das Nachkriegsitalien, wie er wörtlich sagt, vergiftet.

Scurati nennt hohe Richter, Beamte, Offiziere. Sie hätten den Faschismus zwar nicht erneut errichtet, ihm aber auch nie abschwören wollen.

Beunruhigender Wandel

Auch Meloni habe sich nie als Antifaschistin bezeichnet. Und heute, sagt Scurati, passiere es ihm, dass man ihn nicht zu einer Lesung einlade, weil er polarisiere, wie man ihm sage.

Noch bis vor ein paar wenigen Jahren habe der Antifaschismus in Italien nicht polarisiert, sondern zu den Grundsätzen der Republik gehört.

Der Schriftsteller ortet einen beunruhigenden Wandel in Italien – und auch anderswo.

Rendez-vous, 24.4.2025, 12:30 Uhr; sten

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