Die Europawahl ist durch. Nun werden in den kommenden Wochen und Monaten einige wichtige Entscheidungen getroffen und Spitzenposten besetzt. EU-Korrespondent Andreas Reich erklärt die wichtigen Etappen.
Bildung der politischen Fraktionen
Nach der Wahl ist vor der Fraktionsbildung: Dort ist die grosse Frage, ob es den rechten Parteien gelingt, eine grosse gemeinsame Fraktion zu bilden. Aufgrund der Vergangenheit muss man da aber Zweifel haben, ob das gelingt. Die rechten Parteien sind in der Vergangenheit oft durch Streit und grosse thematische Differenzen aufgefallen. Wie stark der rechte Block wirklich wird, das hängt ganz entscheidend davon ab, ob es den rechten Parteien gelingt, künftig besser zusammenzuarbeiten als bisher. In der Regel werden die Fraktionen bis zur ersten Session des neu gewählten Parlaments gebildet. Diese findet Mitte Juli statt.
Wahl der Kommissionpräsidentin: Nomination durch Regierungschefs
Nach den Parlamentswahlen wird auch die EU-Kommission neu gewählt. Zunächst liegt der Ball bei den 27 Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten (Europäischer Rat). Diese müssen einen Vorschlag für eine Kommissionspräsidentin oder einen Kommissionspräsidenten machen. In der kommenden Woche trifft sich die Gruppe ein erstes Mal zur «Nachbesprechung» der Europawahlen. Dabei wird es auch um die Besetzung des Kommissionspräsidiums und anderer EU-Spitzenposten gehen.
Da die Europäische Volkspartei (EVP) von Ursula von der Leyen deutlich stärkste Kraft wurde und sie auch unter den Staats- und Regierungschefs die grösste Gruppe stellt, stehen die Chancen von von der Leyen auf eine Nomination gut.
Wahl der Kommissionspräsidentin: Bestätigung durch das Parlament
Nach dem Vorschlag des Europäischen Rats muss die Kommissionspräsidentin auch vom Parlament gewählt werden. Diese Wahl könnte im Juli oder allenfalls auch erst im September stattfinden. Von der Leyens EVP wurde zwar die stärkste Kraft, doch sie ist weit entfernt von einer absoluten Mehrheit. Zusammen mit den Sozialdemokraten und den Liberalen kämen aber genügend Stimmen für eine Wahl zusammen.
Die Krux aus der Sicht von Ursula von der Leyen: Es gibt im EU-Parlament keinen Fraktionszwang und die Wahl der Kommissionspräsidentin erfolgt geheim. Es würden deshalb kaum alle Parlamentarier aus einer solchen Mitte-Koalition für sie stimmen. Sie muss eine Sicherheitsmarge einberechnen und ist deshalb auch auf Stimmen aus anderen Fraktionen angewiesen.
Ursula von der Leyen auf Stimmenfang
Die Frage, die sich für Ursula von der Leyen stellt: Versucht sie sich diese Sicherheitsmarge eher links zu sichern – zum Beispiel bei den Grünen? Oder strebt sie eher eine Zusammenarbeit mit rechten Parteien an – zum Beispiel mit den Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni? Bisher lässt sie sich beide Optionen offen. Ihre einzigen Kriterien: Mögliche Partnerparteien müssen «pro-europäisch», «pro-ukrainisch» und «pro Rechtsstaatlichkeit» sein.
Sowohl ein Schritt nach rechts als auch eine Bewegung auf die Grünen zu ist für sie nicht ohne Risiko. Bewegt sie sich auf Giorgia Meloni zu, dürfte sie Stimmen bei den Sozialdemokraten verlieren. Bewegt sie sich auf die Grünen zu, dürfte das in ihrer eigenen Fraktion sehr schlecht ankommen. Von der Leyen steht im EU-Parlament vor einem schwierigen Balanceakt.