«Ilham Alijew!», sagt die alte Frau und streckt ihren Daumen hoch. Wir sind am Basar in Marneuli, im Süden Georgiens. Aserbaidschan ist nur eine Dreiviertelstunde entfernt, und in der Kleinstadt Marneuli leben seit Jahrhunderten vor allem ethnische Aserbaidschanerinnen und Aserbaidschaner. Viele haben Verwandte auf der anderen Seite der Grenze.
Früher kamen viele Kunden über die Grenze zu uns, wir hatten es gut. Jetzt läuft nichts mehr.
Auf Aserbaidschans Langzeitherrscher Ilham Alijew sind jedoch nicht alle so positiv zu sprechen wie die Frau, die am Basar Kräuter verkauft.
«Warum ist Alijew so stur?», fragt Gewürzverkäuferin Mariam. «Würde es wehtun, die Grenze wieder zu öffnen? Früher kamen viele Kunden über die Grenze zu uns, wir hatten es gut. Jetzt läuft nichts mehr.»
Schuld sei die Coronapandemie
Im März 2020 hat das Alijew-Regime Aserbaidschans Landesgrenzen zu all seinen Nachbarn schliessen lassen. Begründet wurde dies als Massnahme, um die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen. Doch auch nachdem alle anderen Massnahmen aufgehoben wurden, blieben die Grenzen zu. Inzwischen erklären das die Behörden in Baku mit «Gründen der nationalen Sicherheit». In Marneuli lässt das die Leute ratlos zurück.
«Wie kann es sein, dass man mit dem Flugzeug einreisen darf, aber nicht auf dem Landweg?», will Hüseyn wissen. Dass von Tiflis nach Baku noch Flugzeuge fliegen, bedeutet den Menschen in Marneuli wenig: Die allerwenigsten können sich ein Ticket leisten. Wer früher wöchentlich oder gar täglich über die Grenze nach Aserbaidschan fuhr, ist inzwischen teilweise seit Jahren nicht mehr dort gewesen.
Da stecken viele politische Faktoren dahinter, aber dazu kann ich nicht offen etwas sagen – Sie verstehen wohl.
«Wenn drüben eine Hochzeit oder eine Taufe stattfindet, können wir nicht mehr hin», sagt Gulo, die einen kleinen Schuhladen betreibt. Warum die Grenze so lange geschlossen sei, darüber will sie nicht sprechen. «Da stecken viele politische Faktoren dahinter, aber dazu kann ich nicht offen etwas sagen – Sie verstehen wohl.»
Tourismus und Wirtschaft leiden
Die selbst auferlegte Abschottung Aserbaidschans schadet auch der Wirtschaft und Tourismusbranche des Landes. Beobachterinnen und Beobachter sind sich uneins, welchen Nutzen das Regime darin sieht. Eine Theorie besagt, es wolle für die nationale Fluggesellschaft AZAL ein lukratives Monopol aufbauen – die Airline gehört indirekt der Alijew-Familie. Andere vermuten, es gehe schlicht um eine umfassendere Kontrolle über Aserbaidschans Bürgerinnen und Bürger.
In der Tat gebart sich das Regime immer repressiver. Vor wenigen Wochen wurden mehrere junge Aktivisten am Flughafen in Baku festgenommen, als sie versuchten, auszureisen.
Gulo ist nicht die einzige am Basar in Marneuli, die dazu lieber nicht ins Detail geht. Die Angst vor Konsequenzen – wenn nicht direkt gegen sie, dann gegen Angehörige in Aserbaidschan – scheint gross. Entsprechend hilflos blicken sie auf die geschlossene Grenze. Von Aserbaidschan abgeschnitten zu sein, wirke sich auch auf die Psyche der Menschen hier aus, erklärt Gulo. «Aber nur die Regierung kann das rückgängig machen. Wir haben nichts zu sagen.»