Angespannte Lage: Der Islamist Mursi war seit seiner Absetzung durch das Militär inhaftiert. Gestern starb er in einem Gerichtssaal, laut dem ägyptischen Staatsfernsehen an Herzversagen. Aus Angst vor Protesten erhöhte das Innenministerium die Alarmbereitschaft der Sicherheitskräfte. Eine durchaus berechtigte Massnahme, meint Islamwissenschaftler Reinhard Schulze. «Die Muslimbrüder lieben Verschwörungstheorien und es wird ihnen zunächst darum gehen, Mursi so als Opfer darzustellen, dass der Staat als Täter angesehen wird.»
Die Mordthese: Mursis Tod ist für die Muslimbrüder ein «ausgewachsener Mord». Sie riefen die Menschen dazu auf, in Massen zu Mursis Beisetzung zu kommen. Amnesty International fordert eine unabhängige Untersuchung. Human Rights Watch schreibt, Mursi habe keine angemessene medizinische Versorgung erhalten. So seien ihm unter anderem über Jahre Besuche seiner Familie und seiner Ärzte untersagt worden. Auch eine Delegation von britischen Parlamentariern bezeichnete die Haftbedingungen nach einem Besuch im Gefängnis als Folter.
Zermürbung hinter Gittern: Die Journalistin Astrid Frefel überrascht Mursis Tod nicht. «Er hat eine lange Geschichte von gesundheitlichen Problemen und ist bereits bei früheren Gerichtsverhandlungen in Ohnmacht gefallen.» Schon länger stehe der Vorwurf im Raum, dass sich die Justiz durch prekäre Haftbedingungen und endlose Verhandlungen der Führung der Muslimbrüder entledigen wolle. «Die Angeklagten werden älter und kränker. Der staatliche Informationsdienst tut die Vorwürfe aber als politisch motivierte Lügen ab.»
Geschwächte Islamisten: Mursis Tod könnte zwar Anlass für einen Aufschrei gegen das Justizsystem geben, sagt die Journalistin: «Aber die Zustände sind bekannt und die Menschen scheinen sie zu dulden.» Denn Staatschef al-Sisi habe es geschafft, die Muslimbrüder zu diskreditieren: «Zudem stehen die arabischen und westlichen Länder mit wenigen Ausnahmen hinter dem Regime und seinem Versprechen, im Land und der Region für Stabilität zu sorgen.» Von radikalen Splittergruppen der Islamisten gehe aber eine erhöhte Anschlagsgefahr aus.