Darum geht es: Seit einem Jahr herrscht in der nordäthiopischen Region Tigray Krieg. Damals brachen zwischen Truppen der von der tigrayischen Rebellengruppe TPLF geführten Regionalregierung und der Zentralregierung in Addis Abeba unter Ministerpräsident Abiy Ahmed Kämpfe aus. Die Regionalregierung wurde zunächst vertrieben, zugleich mussten Hunderttausende Menschen ihr Zuhause verlassen und fliehen. Auch eritreische Soldaten beteiligten sich im Kampf gegen die TPFL, genauso wie Milizen aus der Provinz Amhara. Inzwischen konnte die TPLF die Kontrolle über die Region Tigray weitgehend zurückgewinnen – sie rückt jetzt sogar in Nachbarregionen vor: Der Konflikt droht völlig ausser Kontrolle zu geraten.
So präsentiert sich die aktuelle Lage: Die Tigray-Rebellen haben eine vor einem Monat gestartete Grossoffensive der Regierungstruppen auf die Region Tigray zurückgeschlagen und rücken nun ihrerseits nach Süden vor. In der Region Amhara haben sie bereits die Städte Dessie und Kombolcha eingenommen. Diese liegen an der Strasse nach Addis Abeba, die Hauptstadt ist rund 400 km entfernt. Es scheint, dass die TPLF in dem blutigen Konflikt gerade die Oberhand gewinnt. «Das ist eine sehr besorgniserregende Entwicklung», sagt Tobias Hagmann. Der Politologe befindet sich derzeit in Addis Abeba. Als Reaktion ordnete die Regionalregierung von Amhara eine generelle Mobilmachung an.
Deshalb spitzt sich die Lage weiter zu: In der Oromiya-Region, in der auch die Hauptstadt Addis Abeba liegt, ist seit Monaten eine andere Rebellenorganisation, die Oromo-Befreiungsarme, auf dem Vormarsch. «Es besteht die Möglichkeit, dass die Tigray- und die Oromo-Rebellen bald zusammentreffen und gemeinsam gegen die Regierungstruppen kämpfen werden», so Hagmann. Entsprechend gross sei derzeit der Druck auf Regierungschef Abiy: «Es ist eine Art Alles-oder-Nichts-Moment für ihn», so der Schweizer Politologe. Die Regierung sei auf die Unterstützung diverser Milizen, etwa aus der Amhara-Region, angewiesen. «Wenn diese die TPLF nicht stoppen können, wird Abiy bald zurücktreten oder fliehen müssen.»
Für Ministerpräsident Abiy Ahmed geht es jetzt um Alles oder Nichts.
Darum kommt Äthiopien nicht zur Ruhe: Die Situation ist völlig blockiert: Premier Abiy weigert sich seit Beginn der Kämpfe, mit den Tigrayern zu verhandeln oder auch nur zu sprechen. Andererseits wollen die TPFL-Rebellen so lange weiterkämpfen, bis die Blockade rund um die Region Tigray gebrochen ist. «Sie ist der Grund, weshalb in der Region Tigray massiver Hunger herrscht, es kommen keine Hilfsgüter hinein», so Hagmann. Auch wenn wegen der völligen Abriegelung der Region kaum Nachrichten nach aussen gelangen, ist klar, dass die Not dort immens ist. Dabei stehen Dutzende Lastwagen von UNO und internationalen Hilfswerken bereit, um Essen und Hilfsgüter in die Region zu bringen. Doch man lässt sie nicht hinein.
So viel Rückhalt hat Abiy noch: Die Unterstützung für den Ministerpräsidenten ist je nach Region sehr unterschiedlich. In Amhara sei sie sicher gross, dort werde es auch Widerstand gegen die Tigray-Rebellen geben, so Hagmann. Auch in Oromiya geniesse Abiy noch recht viel Support. «Der Krieg um Tigray ist in einen Bürgerkrieg ausgeartet. Das ist das Problem», sagt der Politologe. «Es ist ein ethnischer Konflikt zwischen den Tigray und der restlichen Bevölkerung, insbesondere in Amhara.» Bereits sei in sozialen Medien von Amhara-Nationalisten zum Mord an ethnischen Tigray aufgerufen worden. Die Amhara fühlten sich von den Tigray in ihrer Existenz bedroht.