Albanien und Nordmazedonien haben wieder eine EU-Perspektive, denn die EU will nun doch Verhandlungen mit ihnen aufnehmen. Bisher waren Gespräche vor allem am Widerstand Frankreichs gescheitert, was in Nordmazedonien eine Regierungskrise auslöste. Auch die Corona-Krise werde den weiteren Verlauf bestimmen, sagt der Journalist Norbert Mappes-Niediek.
SRF News: Wie reagieren Albanien und Nordmazedonien auf den neuen Bescheid aus Brüssel?
Norbert Mappes-Niediek: Die Länder sind sehr erfreut, denn eine andere Perspektive haben sie nicht. Besonders gut ist die Nachricht für die pro-westlichen Kräfte, vor allem jüngere Generationen und NGOs. Es gibt aber in beiden Ländern auch die Oligarchen und Autokraten, die seit dem Veto aus Frankreich Oberwasser haben. Zwar treten nur wenige offen gegen einen EU-Beitritt auf, aber viele, die nach aussen dafür eintreten, unterlaufen das Ziel. Sie fühlen sich wohl im Warteraum vor den Türen der EU. Zum Beispiel, um Flüchtlinge abzuwehren.
In Nordmazedonien hatte das Nein aus Brüssel zum Sturz der europa-freundlichen Regierung geführt. Wie sieht es dort jetzt aus?
Nach dem schlimmen Rückschlag ist noch längst nicht alles wieder gut. Für April waren Neuwahlen angesetzt, die wegen der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit verschoben wurden. Aktuell ist eine technische Regierung an der Macht, darunter Minister aus der nationalistischen Opposition. Sie lehnen unter anderem die Änderung des Staatsnamens in «Nordmazedonien» ab. Das war aber eine Voraussetzung, dass über Verhandlungen überhaupt diskutiert wurde. Sie haben zahlreiche Boykottmöglichkeiten.
Wenn in Nordmazedonien die europafeindlichen Kräfte an die Macht kämen, können die Verhandlungen abgebrochen werden.
Was würde passieren, wenn bei Neuwahlen die EU-Gegner an die Macht kämen?
Das wäre fatal. In den nächsten Wochen wird die Corona-Krise alles überschatten und dann wohl die Wahl entscheiden. Welcher Partei die Wähler den Erfolg der Krisenpolitik oder – wahrscheinlicher – den Misserfolg zurechnen, steht in den Sternen. Wenn die europafeindlichen Kräfte an die Macht kämen, wird das ein Debakel. Dann können die Verhandlungen abgebrochen werden.
Wie sieht es in Albanien aus, wo der sozialistische Regierungschef Edi Rama sehr trotzig auf die Absage aus Brüssel reagiert hatte?
Edi Rama ist ein Mann, der seinen Stolz hat. Die Rolle des Bittstellers liegt ihm nicht. Die immer neuen Forderungen und Verzögerungen von EU-Seite haben ihn schwer genervt. Aber ganz Albanien will in die EU, auch die Opposition. Das Problem ist, dass die beiden grossen Parteien der Sozialisten und Demokraten heillos zerstritten sind.
Können solche Verhandlungen überhaupt je funktionieren?
Sie können. Aber ob sie funktionieren, ist offen. Es gibt unzählige Unwägbarkeiten, darunter die Corona-Krise.
Der Erweiterungskommissar der EU ist ein Vertrauter des autokratisch regierenden Viktor Orban.
Ganz wichtig auch: Die EU hat jetzt einen ungarischen Erweiterungskommissar. Es ist ein Vertrauter des autokratisch regierenden Viktor Orban, der in Südosteuropa Regionalpolitik betreibt. Je besser sich die Balkanländer mit Orban verstehen, desto grösser würde der Widerstand gegen ihre Aufnahme, etwa in Frankreich.
Es wird auf jeden Fall lange dauern, wie andere Beispiele zeigen. Albaniens Nachbar Montenegro verhandelt seit fast acht Jahren, Nordmazedoniens Nachbar Serbien ist seit sechs Jahren dran. Für beide wird als Beitrittstermin vage 2025 genannt. Für Nordmazedonien hiesse das frühestens 2031 oder 2033. Aber nach Fahrplan wird es kaum laufen.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.