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Alte Kolonie Sprachenstreit legt Krise zwischen Grönland und Dänemark offen

Die grösste Insel der Welt hat sich in den letzten Jahren stark von der früheren Kolonialmacht Dänemark emanzipiert. Kopenhagen versucht allerdings, seinen Einfluss zu wahren.

Plötzlich platzte der Abgeordneten im dänischen Parlament, Aki Matilda Høegh-Dam, der Kragen – und sie begann in ihrer Muttersprache, Grönländisch, zu sprechen: «Wie wäre es, wenn dieses Parlament auch einmal eine Sprache hört, die die meisten hier nicht verstehen», sagte die 28 Jahre alte Parlamentarierin.

Tatsächlich reagierten ihre dänischen Kolleginnen und Kollegen und auch der Parlamentspräsident zunächst bestürzt und erklärten, dass auf diese Weise doch nicht miteinander umgegangen werden könnte: «Ich verstehe nichts und so können wir nicht mehr debattieren», erklärte ein Abgeordneter.

Frau spricht am Podium in einem Versammlungssaal.
Legende: Aki Matilda Høegh-Dam ist eine von zwei grönländischen Stimmen im Kopenhagener Folketing. IMAGO / Ritzau Scanpix

Der jungen grönländischen Abgeordneten gelang damit ein echter Coup: Es war ein wichtiger staatspolitischer Moment in den Beziehungen zwischen den beiden ungleichen Ländern.

Vor der Eigenständigkeit – und im Blick der Grossmächte

Bis 1953 war Grönland eine dänische Kolonie, wo sich die Menschen – in erster Linie indigene Inuit – jedoch weitgehend selbst überlassen waren. Doch dann annektierte Kopenhagen das Land in Umgehung einer entsprechenden UNO-Konvention zur Dekolonialisierung – und versuchte die Bevölkerung mit Zwang und Gewalt zu Däninnen und Dänen zu machen.

Erst 1979 gelang Grönland ein erster Loslösungsschritt, dem seither viele weitere gefolgt sind – und heute steht das riesige Land mit der kleinen Bevölkerung vor dem Sprung in die staatliche Unabhängigkeit.

Man müsste die gesamte dänische Identität auf eine inklusivere Grundlage stellen.
Autor: Ebbe Volquardsen Kulturhistoriker an der Universität in Nuuk

Mit Blick auf den geopolitischen Einfluss, wirtschaftlichen Interessen und auch als Reaktion auf Avancen von Grossmächten wie den USA und China, möchte das EU- und Nato-Land Dänemark Grönland aber am liebsten nicht einfach ziehen lassen, erklärt der Kulturhistoriker Ebbe Volquardsen, der als Professor an der grönländischen Universität in Nuuk lehrt: «Man müsste sich von alten Narrativen verabschieden und die gesamte dänische Identität auf eine inklusivere Grundlage stellen.»

Kopenhagen sendet versöhnliche Signale

Für das einsprachige Dänemark, das seit Jahrzehnten eine äusserst restriktive Einwanderungspolitik verfolgt, sind solche Perspektiven eine grosse Herausforderung. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit der grönländischen Minderheit in Dänemark, deren Rechte gemäss einem Bericht der UNO-Menschenrechtskommission systematisch missachtet werden.

Das möchte die grönländische Regierung nicht weiter akzeptieren: «Die Beziehungen zu Kopenhagen haben einen Nullpunkt erreicht», kommentierte eine grönländische Zeitung vor wenigen Tagen.

Ein Beispiel für Diskriminierung aufgrund der Sprache

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Das Risiko für ein grönländischsprachiges Elternpaar in Dänemark das Sorgerecht für die eigenen Kinder zu verlieren, ist siebenmal höher als für ein dänischsprachiges. Der einfache Grund: Die entsprechenden Tests und Prüfungen der Kinderschutzbehörden gibt es nur auf Dänisch und berücksichtigen die massiven kulturellen Unterschiede zu Grönland nicht.

Grönlands Ministerpräsident Mute Borup Egede sucht nun deshalb das Gespräch mit seiner Amtskollegin, Mette Frederiksen – und die hat, so Ebbe Volquardsen, ein starkes Interesse an besseren Beziehungen zur früheren Kolonie.

«Sie (Frederiksen) erkennt, dass eine grönländische Unabhängigkeit, die jahrzehntelang als Hirngespinst abgetan wurde, absolut im Bereich des Möglichen ist und arbeitet insofern darauf hin, das zu verhindern.» Und das tue sie, indem sie Respekt zeige.

Gruppe von Menschen geht im Winter durch verschneite Strasse.
Legende: Im März diesen Jahres besuchte Frederiksen (Bildmitte) zusammen mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Grönland. Mute Borup Egede (links) empfing die beiden. IMAGO / Ritzau Scanpix

Mehr Respekt erfährt nun zudem auch die grönländische Abgeordnete Aki Matilda Høegh-Dam im dänischen Parlament. Vor wenigen Tagen begann das Folketing damit, die Debatten im Plenum simultan übersetzen zu lassen – und das nicht nur von Dänisch ins Grönländische und umgekehrt, sondern auch in und aus einer Sprache einer anderen früheren Kolonie im Nordatlantik – den Färöer Inseln.

Echo der Zeit, 4.1.2024, 18 Uhr

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