Viele in Europa sehnen sich nach dem aussenpolitischen Kurswechsel, den der neue amerikanische Präsident Joe Biden in Aussicht gestellt hat: mehr Zusammenarbeit, mehr Verlässlichkeit, weniger Paukenschläge. Etwas bleibt freilich gleich: Ein amerikanischer Präsident – ob er nun Trump heisst oder Biden – verfolgt die Interessen seines Landes. Die USA sollen wirtschaftlich und militärisch die Nummer 1 bleiben.
«America first», hiess das bei Trump – die USA an erster Stelle. «American Leadership» verspricht dagegen Joe Biden – die USA sollen wieder führen. Diese Schlagworte lassen die Parallelen erkennen, aber auch die Unterschiede zwischen den aussenpolitischen Plänen Bidens und dem Vermächtnis seines Vorgängers. Während Trump auf Alleingänge und Deals mit einzelnen Ländern setzte, will Biden zurück zur alten Führungsrolle der USA im Konzert der Nationen.
Amerikanische Interessen durchsetzen
Biden ist überzeugt davon, dass globale Probleme wie die Corona-Pandemie oder die Klimaerwärmung nur mit globaler Zusammenarbeit gelöst werden können. Folgerichtig hat er wenige Stunden nach Amtsantritt die Rückkehr der USA ins Pariser Klimaschutz-Abkommen bekannt gegeben.
Internationale Organisationen und Konferenzen sind für ihn aber auch ein Machtmittel: Sie erlauben die Durchsetzung amerikanischer Interessen. In den Jahrzehnten vor der Präsidentschaft Trumps haben die USA viel Geld und Mühe aufgewendet, um zum Beispiel am UNO-Hauptsitz in New York, bei der Welthandelsorganisation WTO oder der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf den Ton anzugeben. Überall wollten sie die erste Geige spielen.
Eine Ambition, welche die USA freilich immer mehr mit China teilen mussten. Mit Fleiss und Finanzkraft haben die Diplomaten aus Peking ihren Einfluss in internationalen Organisationen ausgebaut. Der Untersuchung der WHO über die Ursachen der Corona-Krise legten sie erfolgreich Steine in den Weg.
Trump übte schrille Kritik und verkündete den Austritt der USA aus der WHO. Biden hat auch diesen Austritt bereits rückgängig gemacht. Er will zurück zur traditionellen Strategie amerikanischer Diplomatie zurückkehren: überall mitspielen und – wenn möglich – überall das letzte Wort haben.
Zusammenarbeit als Machtmittel
Doch angesichts des wachsenden Einflusses Chinas sind die USA dafür mehr denn je auf Verbündete angewiesen. Biden hat bereits einen «Demokratie-Gipfel» angekündigt, er will die Staats- und Regierungschefs aus Ländern wie Frankreich oder Deutschland auf den ökonomischen und geostrategischen Wettkampf gegen China einstimmen.
Wem das demokratische Amerika als Führungsmacht lieber ist als das diktatorische China, der darf Hoffnungen in Joe Biden setzen. Er sollte jedoch nicht vergessen, dass die USA auch in Zukunft die eigenen Interessen an erste Stelle setzen und Zusammenarbeit als Machtmittel einsetzen werden.