Donald Trump tritt ab. Welches Vermächtnis der scheidende US-Präsident der Welt hinterlässt, weiss die USA-Expertin Sarah Wagner.
SRF News: Wo stehen die USA nach vier Jahren Trump-Präsidentschaft?
Sarah Wagner: Das zeigen die aktuellen Bilder aus Washington sehr deutlich: Eine Stadt, die gerade eine hoch militarisierte Hochsicherheitszone ist, eine Amtseinführung, die wegen der Pandemie vor allem virtuell stattfinden muss. Die USA stehen innen- und aussenpolitisch angeschlagen da – und auf die neue Administration unter Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris wartet eine Herkulesaufgabe.
Hat Trump seinen Slogan «Make America Great Again» umgesetzt?
Aus Sicht seiner Anhängerinnen und Anhänger kann Trump sicher Erfolge vorweisen. Doch aus meiner Sicht ist die Bilanz verheerend: Bislang sind über 400'000 Amerikanerinnen und Amerikaner an Covid-19 gestorben, die Zahl steigt weiter an. Die Wirtschaft ist angeschlagen.
Trumps Rhetorik und Amtsführung haben zur Erstürmung des Kapitols geführt.
Aussenpolitisch haben die USA viele Partner vor den Kopf gestossen. Ausserdem haben Trumps Rhetorik und Amtsführung schlussendlich zur Erstürmung des Kapitols geführt. Bei der Krisenbewältigung hat Trump nicht liefern können, ja, er hat die Lage zum Teil sogar verschlimmert.
Was hat Trumps Strategie «America First» den USA wirtschaftlich gebracht?
Wenn man die derzeit schlechten Zahlen anschaut – sie sind im Zusammenhang mit Trumps schlechtem Management der Pandemie zu sehen – sicher nicht viel. Zwar waren die Arbeitslosenzahlen vor der Coronakrise noch sehr niedrig, doch diese haben sich inzwischen auf sieben Prozent verdoppelt.
In den USA ist Hunger wieder ein Thema.
Viele Amerikanerinnen und Amerikaner haben grosse finanzielle Probleme, die staatliche Hilfe reicht nirgends hin, Hunger ist wieder ein Thema in den USA. Von Trumps Steuererleichterungen haben vor allem die Unternehmen profitiert. Gleichzeitig kam es aber auch zu neuen Belastungen wegen der von Trump initiierten Strafzölle-Spirale. Auch musste enorm viel Geld in die US-Landwirtschaft gepumpt werden, weil die Bauern wegen des Handelsstreits mit China ihre Produkte nicht mehr exportieren konnten.
Wie schätzen Sie Trumps Aussenpolitik ein, was das US-Militärengagement angeht?
Verglichen etwa mit George W. Bush ist Trumps Bilanz sicher besser – an den Folgen des Afghanistan- und Irakkriegs leidet die Welt noch heute. Doch auch unter Trump gab es Momente, in denen eine Eskalation kurz bevorstand. Denken wir etwa an die Rhetorik gegenüber Nordkorea kurz nach Trumps Amtsantritt oder die belasteten Beziehungen zu Iran. Gleichzeitig versuchte Trump aber auch, US-Truppen aus Kriegsgebieten abzuziehen. In dieser Beziehung hat er sein Wahlversprechen durchaus eingehalten.
Trump wollte das Krankenversicherungssystem Obamacare rückgängig machen. Was ist daraus geworden?
Nichts. Rhetorisch haben Trump und die Republikaner das Thema zwar oft ins Spiel gebracht. Doch sie haben keine Reform präsentiert, und auch vor den Gerichten sind sie auf ganzer Linie abgeblitzt.
Trump hat das Unwort «Fakenews» gross gemacht. Wird seine Lügenkultur die US-Gesellschaft weiter beschäftigen?
Ja. Vor allem unter den konservativen Wählerinnen und Wählern ist das Misstrauen gegenüber den etablierten Medien sehr gross, Trumps Verschwörungsnarrative sind auf fruchtbaren Boden gefallen. Laut Umfragen traut knapp die Hälfte der republikanischen Wähler dem Wahlergebnis nicht, führende Politiker füttern das Misstrauen weiter. Und Trump wird versuchen, daraus Kapital zu schlagen – sei es politisch oder finanziell.
Trump hat Dutzende konservative Richter ernannt. Welche Folgen hat das?
Das prägt Trumps Vermächtnis sehr nachhaltig. Insgesamt ernannte er in seinen vier Amtsjahren 226 Richterinnen und Richter. Die Republikaner im Senat haben die freien Richterstellen sehr diszipliniert mit konservativen Richterinnen und Richtern besetzt. Der Supreme Court verfügt jetzt über eine konservative Mehrheit, das wird noch jahrelang zu spüren sein.
Wird Trumps Nachlass als Präsident die Welt also noch länger beschäftigen?
Ja. Trump hat viele Bruchstellen in der US-Politik und in der Gesellschaft offengelegt und diese teilweise verstärkt. Man darf auch nicht vergessen, dass ihm bei der Wahl 74 Millionen Menschen ihre Stimme gegeben haben.
Viel hängt jetzt von der republikanischen Partei ab.
Die Biden-Administration wird die gesellschaftliche Spaltung nicht alleine überwinden können. Da steht die ganze Zivilgesellschaft vor einer grossen Aufgabe. Viel wird davon abhängen, wie sich die republikanische Partei dazu positioniert. Wenn weiterhin ein grosser Teil ihrer Wähler Biden nicht als ihren Präsidenten anerkennt und sich die republikanische Führungsriege nicht deutlicher bewegt, wird es für Biden sehr schwierig werden, das Land zu einen.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.