Mit der mutmasslichen Einmischung in die US-Wahlen von 2016 liess Russland zumindest Sympathien für «President Trump» durchschimmern. Irgendwo zwischen stiller Bewunderung und Nichtangriffspakt pendelte sich dann Trumps Beziehung zu seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin ein. Säbelrasseln gab es allenfalls zwischen dem Kongress und dem Kreml.
Auch mit Peking verband den scheidenden US-Präsidenten eine «besondere Beziehung»: Im Riesenreich hatte er seinen besten Feind gefunden. An der Zähmung des machtbewussten Kontrahenten bemass sich Trumps Anspruch, die USA zu alter Grösse zu verhelfen. «America First» war immer auch eine Kampfansage gegen Peking.
Nun übernimmt Joe Biden das Zepter im Oval Office – und mit ihm ein Mann, der als Vizepräsident unter Barack Obama und langjähriges Mitglied des Washingtoner Polit-Establishments seine ganz eigene Geschichte mit Moskau und Peking hat. Die SRF-Korrespondenten vor Ort wagen einen Blick in die Glaskugel.
Der ideologiefreie Dealmaker Trump, der keine Vorträge über Demokratie und Menschenrechte hält, hat Russland gefallen. Das dürfte nun anders sein.
Sechs Wochen wartete Kreml-Chef Putin zu, bis er Biden als einer der letzten Staatschefs zu seinem Wahlsieg gratulierte. Kein Zufall: Denn Putin und Biden sind alte Bekannte – doch alles andere als gute Freunde, sagt David Nauer, SRF-Korrespondent in Moskau. Er erinnert sich an eine Episode, die sinnbildlich für das komplizierte Verhältnis zwischen den beiden steht.
2011 weilte Biden als US-Vizepräsident in Moskau und traf auf den damaligen russischen Premier. Der Überlieferung nach stand Biden in Putins Büro und sagte: «Ich habe in Ihre Augen geschaut, und ich denke, Sie haben keine Seele.» Putin antwortete: «Wir verstehen einander.»
Nauer interpretiert den rätselhaften, schicksalsschweren Dialog: Die Politiker trauen sich nicht recht und belauern einander. «Gleichzeitig haben sie aber auch keine Sentimentalitäten und eine realistische Einschätzung voneinander.»
Russlands Erwartungen an die USA
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Bild 1 von 5. Putins späte Glückwünsche an Biden wurden international als Ausdruck der belasteten Beziehungen zwischen den Grossmächten gewertet. «Abwartend, aber ohne grosse Erwartungen und Hoffnungen» blicke Russland nun der Biden-Präsidentschaft entgegen, sagt SRF-Korrespondent Nauer. Im Bild: Das Aufeinandertreffen von Putin und Biden in Moskau 2011. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 5. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow sagte kürzlich, er erwarte keine grossen Veränderungen. Der Ton in Washington würde vielleicht etwas gesitteter als unter Trump werden – aber im Kern bleibe alles beim Alten. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 5. Kremlchef Putin hat in Washington weiter kaum Fürsprecher. Nauers Eindruck der russischen Befindlichkeit nach vier Jahren Trump: Enttäuschung. «Die Russen hatten bei seinem Amtsantritt riesige Erwartungen, dass sich das Verhältnis verbessern würde – das ist aber nicht geschehen.» . Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 5. Inzwischen herrsche in Moskau die Meinung vor: Das wird nichts mehr mit den Amerikanern – unabhängig davon, wer Präsident ist. «Obwohl es hier viele Stimmen gibt, die sagen, die Demokraten seien noch schlimmer als die Republikaner», so Nauer. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 5. Mit ein Grund für die Moskauer Skepsis: Biden hat bereits angekündigt, Washingtons internationale Bündnisse wieder zu stärken – insbesondere die Nato. «Der Kreml war ziemlich zufrieden mit Trump, der die transatlantischen Beziehungen ramponiert hat», so Nauer. Im Bild: Biden 2015 mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Bildquelle: Keystone.
In China ist man sich bewusst, dass sich die Beziehungen auch unter Biden nicht von heute auf morgen verbessern werden.
Tiraden aus dem Oval Office, andauernder Handelskonflikt, rigoroses Vorgehen gegen chinesische Techfirmen: Vier Jahre Trump waren für Peking ein wahres Trommelfeuer an bilateralen Zerwürfnissen. «Wirklich genug hat man hier aber von den Unsicherheiten, dem auf und ab von Trumps Politik», sagt Martin Aldrovandi, SRF-Korrespondent in Schanghai.
Im Ton dürfte Präsident Biden zwar freundlicher auftreten. Differenzen in der Sache gebe es aber auch unter ihm genug, so der Korrespondent. Peking wünsche sich schlicht mehr Stabilität und Berechenbarkeit von der neuen US-Administration.
«Gleichzeitig ist man sich hier bewusst, dass sich die Beziehungen auch unter Biden nicht von heute auf morgen verbessern werden.» Zumal auch die Demokraten Trumps harte China-Politik unterstützten.
Chinas Erwartungen an die USA
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Bild 1 von 5. China werde dem scheidenden US-Präsidenten keine Träne nachweinen, sagt Korrespondent Aldrovandi. «Auch wenn etwa dessen Missmanagement der Coronakrise von den Staatsmedien genüsslich ausgekostet wurde.». Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 5. Auch der Sturm aufs Kapitol wurde dankbar aufgenommen, wie Aldrovandi berichtet. «Das Ereignis wird gerne als Beweis hergenommen, dass das vermeintliche Vorbild der amerikanischen Demokratie eben doch nicht funktioniert.» . Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 5. Mit Social-Media-Apps wie TikTok oder dem IT-Giganten Huawei fordert China seit Jahren die Vormachtstellung von Big Tech in den USA heraus. Für Aldrovandi stehen die Zeichen weiterhin auf «Entkopplung». Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 5. Wie in Russland stellt man sich auch in China auf altbekannte ideologische Gräben ein. Die Demokraten unterstützten im Kongress Sanktionen wegen Pekings Unterdrückung der Uiguren und der Demokratiebewegung in Hongkong. Im Bild: Der Hongkonger Aktivist Joshua Wong. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 5. Chinesische Geschäftsleute und Studierende wünschen sich unter Biden weniger Chaos und mehr Stabilität. «Aber auch sie sind realistisch genug, um zu wissen, dass sich das nicht so schnell ändern wird», schliesst Aldrovandi. Bildquelle: Keystone.