Javier Milei ist als neuer Präsident Argentiniens vereidigt worden. Er hat eine Schocktherapie angekündigt. Damit möchte er die extrem hohe Inflation in Argentinien bekämpfen. Es soll alles anders werden, aber wie genau, ist noch offen. Das sagt Wolf Grabendorff. Er ist Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Lateinamerika.
SRF News: Wie wird diese Schocktherapie aussehen?
Wolf Grabendorff: Sie wird vor allem den Teil der Bevölkerung treffen, der jetzt schon in grosser Armut ist. Das sind 40 Prozent der Argentinier. Und diese werden von den Folgen dieser angekündigten Kraftanstrengung besonders betroffen sein. Er hat wörtlich gesagt: «Die negativen Auswirkungen der notwendigen Politik werden die Arbeit, das Einkommen und die Armutssituation im Land noch verschlechtern.»
Milei hat kurz nach seinem Amtsantritt entschieden, die Anzahl der Ministerien von 18 auf 9 zu halbieren. Was will er mit dieser Reduzierung erreichen?
Er will erreichen, dass der Staat nicht mehr so in die Gesellschaft einwirkt wie bisher. Seine Philosophie als Anarchokapitalist ist, dass die private Wirtschaft die Gesellschaft stärken und führen soll, und nicht der Staat. Er hat angekündigt, 20 Milliarden aus dem Staatshaushalt zu kürzen. Das sind 5 Prozent des Bruttosozialprodukts. Das wird zu einer enormen Veränderung der staatlichen Aktivität und zur Reduzierung der staatlichen Aktivität in Argentinien führen.
Wenn man 5 Prozent des Bruttosozialprodukts im laufenden Jahr streicht, dann sind nicht nur die Ministerien davon betroffen, sondern vor allen Dingen die Provinzen des Landes.
Schon vor der Vereidigung Mileis waren seine Absichten klar: strenge Sparmassnahmen oder auch die Landeswährung Peso mit dem Dollar ersetzen. Inwiefern war dieses Wahlversprechen auch ein Thema in der Antrittsrede?
Er hat jetzt gesagt, das sei nicht so wichtig. Er redet davon, dass es eventuell in zwei Jahren möglich sein würde. In den 90er-Jahren hat die argentinische Bevölkerung unter Carlos Menem bereits eine solche Politik erlebt, die im Chaos geendet ist. Zum Beispiel wurden alle Ersparnisse entwertet. Das Konzept ist also nicht völlig neu, sondern es wird ein altes wieder aufgewärmt. Und davor haben viele Argentinierinnen und Argentinier sehr viel Angst.
Vor der Wahl fiel Milei immer wieder mit provokanten Aussagen auf. Er sprach vom Ende der «parasitären Politikerkaste, die Argentinien seit 40 Jahren regiert». Wie war sein Ton bei der Antrittsrede?
Sein Ton war weiterhin scharf, aber er hat die Kaste im Gesamtzusammenhang verurteilt. Er hat gesagt, wir haben 100 Jahre Populismus gehabt, und diese 100 Jahre sind jetzt vorbei. Andererseits muss er darauf Rücksicht nehmen, dass unter seinen Ministern praktisch zwei Drittel aus dieser berühmten Kaste kommen. Er hat versucht, auch den Staatsmann rauszukehren, dass er jetzt die Verantwortung für die Verbesserung des Landes hat – nach 100 Jahren Misswirtschaft.
Was für ein Fazit kann man aus der ersten Rede ziehen?
Das Fazit ist, dass er den Staat total verändern, um nicht zu sagen abschaffen will. Das hatte er im Wahlkampf mal gesagt. Es ist eine Form, dem Volk zu sagen: Es wird alles anders. Das Problem ist, dass er überhaupt nicht absehen kann, wie dieses «anders» aussehen wird.
Es ist kein Geld für Schulen, für Bauten, für die Erziehung mehr da.
Man muss jetzt schon damit rechnen, dass von den Veränderungen Betroffene in den nächsten Tagen demonstrieren werden. Denn wenn man 5 Prozent des Bruttosozialprodukts im laufenden Jahr streicht, dann sind nicht nur die Ministerien davon betroffen, sondern vor allen Dingen die Provinzen des Landes. Es ist kein Geld für Schulen, für Bauten, für die Erziehung mehr da.
Das Gespräch führte Tim Eggimann.