Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist angeschlagen. Innenpolitisch sorgt seine Rentenreform für gewaltige Spannungen. Auch aussenpolitisch muss er Kritik einstecken. Nach einem Besuch in China hatte Macron dafür plädiert, dass sich Europa – zum Beispiel in Sachen Taiwan – von den USA unabhängiger machen solle.
Die Aussage steht in Zeiten des Ukraine-Kriegs, in dem sich die USA massiv in Europa engagieren, für viele Beobachterinnen und Politiker schräg in der Landschaft. Sowohl innen- als auch aussenpolitisch werden Macron Ignoranz und Arroganz vorgeworfen. Frankreich-Experte Jacob Ross ordnet ein.
SRF News: Halten Sie Macron ebenfalls für ignorant und arrogant?
Jacob Ross: Den Vorwurf der Ignoranz würde ich mit Blick auf seine Aussagen in der Taiwan-Frage bestätigen. Es war unglaublich schlechtes Timing, diese Aussagen im aktuellen Kontext in den Raum zu stellen. Parallel dazu begann China mit grossen Militärmanövern um Taiwan. Die Frage der Arroganz ist schwieriger zu beantworten.
Fakt ist, dass Macron mit seinem konfrontativen Stil oft als arrogant wahrgenommen wird – sowohl aussen- als auch innenpolitisch. Das führt zu Problemen im Verhältnis zu politischen Partnern im Inland als auch zu seinen Verbündeten im Ausland.
Vor einem Jahr wurde Macron zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt. Er trat damals mit dem Versprechen an, das Land zu einen. Nun scheint er Frankreich eher gespalten zu haben.
Dieses Versprechen hat Macron definitiv nicht eingehalten. Macrons Politik seiner ersten Amtszeit hat die Extreme gestärkt, nämlich das Rassemblement National und das Linksbündnis Nupes. Für Macron muss es in seiner zweiten Amtszeit darum gehen, die französische Gesellschaft zu befrieden und Reformen im politischen System anzustossen. 2017 war er ja mit dem Versprechen angetreten, das französische Parlament zu stärken.
Macron kann 2027 als Präsident nicht mehr antreten. Das führt womöglich auch dazu, dass er seinen konfrontativen Stil zu sehr auf die Spitze treibt.
Das alles hat er bisher nicht geliefert und es sollte eine der grossen Aufgaben für Macron sein, wenn er Frankreich 2027 nicht in einem schlechteren politischen Zustand hinterlassen möchte, als er es 2017 vorgefunden hat.
Für Donnerstag ist wegen der Rentenreform ein Tag des Zorns in Frankreich angekündigt. Auch wenn die Reform vom Verfassungsrat grundsätzlich genehmigt wurde: Was riskiert Macron, wenn er sie gegen allen Protest durchdrückt?
Mit Blick auf seine politische Karriere riskiert er relativ wenig. Denn Macron kann 2027 nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten als Präsident nicht mehr antreten. Allerdings führt genau das womöglich dazu, dass er seinen konfrontativen Stil zu sehr auf die Spitze treibt. 2027 stehen aber auch ohne ihn Wahlen an.
Es stellt sich die Frage, wer die Nachfolge in Macrons eigener politischer Bewegung antreten kann oder ob sie so stark auf ihn fokussiert ist, dass sie so schnell wieder verschwinden wird, wie sie 2015 entstanden ist. Politische Beobachter in Frankreich hoffen, dass Macron nicht nur an seine eigene politische Zukunft denkt, sondern das Wohl des Landes im Blick behält.
Macron steht auch aussenpolitisch massiv in der Kritik – wegen seiner Äusserungen zu Taiwan. Was heisst das für sein Selbstverständnis als europäische Führungsfigur?
Im Ausland entsteht der Eindruck, dass französische Initiativen zuerst das französische nationale Interesse im Blick haben und erst dann das Interesse der europäischen Verbündeten. Daran droht Macrons Anspruch zu scheitern, auf europäischer Ebene eine Führungsrolle zu übernehmen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.