Wie konnte Israel derart überrascht werden? Das ist eine der zentralen Fragen seit dem Angriff der Hamas am Wochenende. Trotz konstanter Überwachung des Gazastreifens und Bespitzelung der Hamas wussten die israelischen Geheimdienste nichts von einem Angriff. Antworten auf diese Frage kann Shira Kaplan geben.
Das Land war gespalten und der Feind wurde ausgeblendet.
Sie ist in der Nähe von Tel Aviv aufgewachsen und arbeitete für den israelischen Nachrichtendienst. Heute führt sie ein Unternehmen für Cybersicherheit in Zug. Für Kaplan gibt es mehrere Gründe, warum Israel auf den massiven Angriff der Hamas nicht vorbereitet war:
Tief gespaltenes Israel
Zunächst habe Israel strategische Fehler gemacht, sagt die ehemalige Agentin. «Israel war mit sich selbst beschäftigt. Während 40 Wochen gingen Israeli auf die Strasse und protestierten gegen die Justizreform. Das Land war gespalten und der Feind wurde ausgeblendet.» Die Hamas habe diese für sie günstige Situation ausgenutzt.
Blinder Fleck bei Überwachung
Auch taktisch habe Israel versagt, sagt Kaplan: «Wir haben die komplette Planung der Operation der Hamas nicht kommen sehen.» Möglicherweise habe die Hamas ihren Angriff an einem Ort geplant, den die israelischen Geheimdienste nicht überwachen konnten. «Es wird eine Weile dauern, bis wir verstehen, was schiefgegangen ist. Es ist die Eine-Milliarde-Dollar-Frage, warum wir den Angriff nicht voraussehen konnten.»
Fehleinschätzung der Hamas
In den ersten Stunden des Angriffs am letzten Samstag lief auf israelischer Seite kaum etwas nach Plan. Die Cybersecurity-Expertin nennt ein Beispiel: «Israel hat die Grenze zum Gazastreifen dauernd überwacht. Als die Hamas dann Israel angriff, hat sie diese Überwachungsanlagen sofort zerstört.»
Wir dachten, die Hamas würde einfach warten – dabei hat sie für diesen Angriff trainiert.
Die Kämpfe zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas gehen weiter. Könnte das Land erneut von einem derart grossangelegten Angriff überrascht werden? «Wir haben die Hamas falsch eingeschätzt. Wir dachten, sie würde einfach warten – dabei hat sie für diesen Angriff trainiert.» Kaplan schliesst nicht aus, dass es zu einem erneuten Angriff kommen kann. «Aber nicht in diesem Ausmass.»
Abwarten ist keine Option mehr
Für Israel sei der Angriff eine schallende Ohrfeige gewesen, schliesst die ehemalige Geheimdienstlerin. «Gleichzeitig war es aber auch ein Weckruf.» Kaplan ist überzeugt, dass Israel aus dem Angriff lernen wird: «Leider müssen wir daraus lernen, dass im Nahen Osten nur Macht und Entschlossenheit helfen.» Die Hamas müsse eingedämmt werden. «Warten und höflich sein, ist keine Option mehr für Israel.»