Die Bilder aus Israel und dem Gazastreifen lösen Betroffenheit und Fassungslosigkeit aus. Auch in den Gebieten selbst spielen Emotionen eine wichtige Rolle. So werden sie etwa politisch bewusst geweckt und sind oftmals ein Mitauslöser dafür, wenn sich Menschen radikalisieren.
Oliver Fink kam bei seinen Forschungen zu Gefühlswelten im Kontext des Nahostkonflikts am Kelman-Institut zum Schluss, dass die verhärteten Fronten zwischen Israel und Palästina nicht in erster Linie auf realen Meinungsverschiedenheiten beruhen, sondern auf gegensätzlichen Ideologien und Werten – und damit auch auf Emotionen.
SRF News: Welche Emotionen prägen diese neuste Eskalation des Nahostkonflikts?
Oliver Fink: Das sind, wie immer in diesem Konflikt, sehr intensive und hauptsächlich negativ konnotierte Emotionen wie Traurigkeit, Verzweiflung, aber auch Wut, Hass und Erniedrigung.
Hauptsache, der andere muss zahlen. Was meinen eigenen Leuten passiert, ist egal.
Welche Rolle spielt der Hass?
Hass zielt letztlich auf die Vernichtung des anderen ab. In diesem aktuellen Gewaltausbruch müssen wir davon ausgehen, dass grosse Anteile von Hass vorhanden sind, die den Gegner sozusagen vernichten wollen, auch wenn das gegebenenfalls die eigene Verletzung oder gar Vernichtung bedeutet. Also Hauptsache, der andere muss zahlen und wird geschädigt – was meinen eigenen Leuten passiert, ist dabei egal.
Welche Rolle spielt empfundene Erniedrigung?
Erniedrigung ist gerade in diesem Kontext von Ehre, von der Wiederherstellung dieser, von Gruppenkulturen eine wichtige Emotion, die gerade bei solchen Eskalationen sehr destruktiv sein kann.
Einige sagen, es gehe aktuell darum, das gefühlt allmächtige Israel zu erniedrigen.
Einige Analysten sagen, ein Hauptbeweggrund für die aktuelle Situation sei der Versuch, dieses gefühlt allmächtige Israel – jemanden, der so bedacht auf Sicherheit ist wie der derzeitige Ministerpräsident – zu erniedrigen, dem mal so richtig zu zeigen, mit wem er es zu tun hat.
Wie prägt Wut den Nahostkonflikt?
Wut ist eine vergleichsweise positive Emotion. Wut aktiviert. Wut beeinflusst Verhalten. Und zwar nicht nur gewalttätiges Verhalten, sondern: Ich will einfach eine empfundene Ungerechtigkeit verändern. Also Wut ist eine aktivierende Funktion, die durchaus auch auf gewaltloses Verhalten einen Einfluss hat.
Es geht um das, was die relevante Gruppe empfindet – also ich als Palästinenser, ich als Israeli.
Grundsätzlich forschen wir nicht zu individuellen Emotionen, sondern zu sogenannten Gruppen. Emotionen, die gerade in diesem Gruppenkonflikt wichtig sind. Es geht weniger um das, was ich als Individuum erlebe, sondern um das, was die relevante Gruppe empfindet – also ich als Palästinenser, ich als Israeli.
Wie dreht man, konkret mit Blick auf den Nahostkonflikt, negative Emotionen zu positiveren?
Ein wichtiger Aspekt bei so einem Switch von Gewalteinsatz hin zu friedlichen Mitteln ist Begegnung. Auch da gibt es Unterschiede zwischen Israelis und Palästinensern, zwischen bevorteilten und benachteiligten Gruppen.
Empathie ist für beide Seiten in einem positiven und konstruktiven Sinne wichtig.
Eine Emotion, die aber für beide Seiten in einem positiven und konstruktiven Sinne wichtig ist, ist Empathie. Also eine Perspektivenübernahme, die Sicht für den anderen, für die Leiderfahrungen des anderen. Das kann im emotionalen Bereich sehr mächtig sein und eine Verhaltensänderung bewirken.
Das Gespräch führte Oliver Kerrison.