Zehn Tage sind seit dem Terroranschlag in Wien vergangen. Ein Meer von Blumen und Kerzen erinnert in der Wiener Innenstadt daran, dass ein 20-jähriger Mann vier Menschen erschossen und 23 weitere verletzt hat. Inzwischen weiss man: Der Täter war österreichisch-nordmazedonischer Doppelbürger und hatte Kontakt zu Dschihadisten in der Schweiz und in Deutschland. Er sass im Gefängnis und kam trotz Radikalisierung frühzeitig frei. Die Behörden ignorierten wichtige Hinweise.
Das sah auch Innenminister Karl Nehammer so, der am Tag nach der Tat das grün geführte Justizministerium an den Pranger stellte: «Tatsache ist, dass der Terrorist es geschafft hat, das De-Radikalisierungsprogramm der Justiz zu täuschen, eine vorzeitige Entlassung erwirken konnte und es keine Warnhinweise über seine Radikalisierung gegeben hat.»
Fehler im Innenministerium im Fall Wien
Nehammers Version widersprach jedoch der Leiter des Deradikalisierungsprogramms Derad, das den jungen Mann betreute. Kurz darauf wurde bekannt, dass der slowakische Geheimdienst den österreichischen Verfassungsschutz lange vor dem Anschlag gewarnt hatte – der spätere Attentäter hatte offenbar versucht in der Slowakei Munition zu kaufen. Doch diese Information ist in Nehammers Innenministerium liegengeblieben – er musste den Fehler zugeben.
Nicolas Stockhammer, Terrorismusexperte an der Universität Wien, hat für das Vorgehen der Behörden wenig Verständnis. «Bei der Brisanz dieses Falles und den bekannten Zusammenhängen über den in der dschihadistischen Szene vernetzten Mann müssten eigentlich alle Alarmglocken schrillen», sagt Stockhammer. Die grosse Frage sei, ob persönliche Fehlleistungen oder systemische Defizite dahinter stünden.
Experte fordert Reform eines Bundesamtes
Eine Untersuchungskommission soll nun den Tathergang und auch die behördlichen Pannen lückenlos aufklären. Doch bevor die Kommission ihre Arbeit überhaupt beginnen konnte, präsentierte die österreichische Regierung bereits ein umfangreiches Anti-Terror-Massnahmenpaket. Es ist gegen den politischen Islam und Gefährder gerichtet und soll diese unbeschränkt wegsperren können, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz am Mittwoch berichtete.
Juristen halten viele der Anti-Terror-Massnahmen für rechtlich äusserst bedenklich. Der Linzer Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer befürchtet eine elektronische Überwachung, ohne jegliche Betreuung. Ebenso kritisch sieht er ein geplantes Verbot des politischen Islam. «Beim politischen Islam läuft man Gefahr, eine Art Gesinnungsstrafrecht zu schaffen, das letztlich nicht vollziehbar ist.»
Das, was jetzt begonnen wurde, ist ein guter Einstieg, aber noch nicht das Ende vom Lied.
Terrorexperte Nicolas Stockhammer hält eine übergeordnete, koordinierende Stelle für zwingend. «Es wäre besonders wichtig, eine ernsthafte, vollumfassende BVT-Reform anzustreben. Das, was jetzt begonnen wurde, ist ein guter Einstieg, aber noch nicht das Ende vom Lied.»
Das BVT, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, ist in Österreich seit langem in der Kritik. Es sei ein riesiger Krake – immer der politischen Einfussnahme ausgesetzt, das Image arg angeschlagen. Innenminister Nehammer hat angekündigt, dass sich das nun ändern soll.