Die Volkspartei (EVP) steht unter Druck, und dabei insbesondere Manfred Weber. Der CSU-Mann und EVP-Spitzenkandidat für die Europa-Wahlen im Mai, hat Viktor Orban lange Jahre geschützt und sogar gefördert. Nun möchte Weber neuer Präsident der EU-Kommission werden. Da könnte diese frühere Nähe zu Orban zum Problem werden.
«Indiskutable Entscheidungen»
Deshalb interessiert besonders, wie sich Weber jetzt äussert – beispielsweise gestern in der ZDF-Talksendung von Maybrit Illner. Die Moderatorin möchte wissen, wie weit sich Weber nun von Orban distanziere: «Ich habe im Europäischen Parlament für die härteste Waffe, die wir haben gegen ein Land der Europäischen Union, nämlich für das Artikel-7-Verfahren gestimmt. Weil in Ungarn Entscheidungen gefällt worden sind, die indiskutabel sind, die nicht vertretbar sind. Und deswegen gehen wir mit aller Härte gegen dieses Land vor und Viktor Orban muss seine Richtung ändern.»
Die Aussage ist interessant. Weber betont seine Härte gegenüber Orban indem er darauf hinweist, dass er im letzten Herbst «Ja» gesagt habe zum Rechtsstaatlichkeits-Verfahren gegen Ungarn. Und, indem er allgemein einen Kurswechsel fordert.
«Kein Verhandlungsrabatt für Orban»
Aber eine explizite Antwort, ob es nicht an der Zeit sei, Orban aus der Volkspartei auszuschliessen, bleibt er schuldig – auch auf Nachfrage hin: «Die Grundsatzfrage ist, ob wir alle klar sind bei den Grundrechten – sie einzuhalten, sie umzusetzen und durchzusetzen.» Nochmalige Nachfrage der Moderatorin: «Ausschluss ja oder nein?». Weber: «Da gibt es für mich keinen Verhandlungsrabatt – auch für den Viktor Orban innerhalb der EVP oder ausserhalb.» Das heisst: Die Kritik ist zwar laut, aber Orban bekommt nochmals eine Chance.
Volkspartei sucht «strategischen Dialog»
Das wird deutlich aus den Ausführungen des CDU-Urgesteins Elmar Brok gegenüber Radio SRF. Die Spitze der Volkspartei werde sich nun beraten und dabei werde sie mit Orban in einen strategischen Dialog treten, wie sich Brok ausdrückt: «In diesem strategischen Dialog muss das besprochen werden, was ich gesagt habe – wird er sich jetzt in eine konstruktive, kollegiale gemeinsame Wahlkampfführung einlassen und sich entsprechend verhalten, oder nicht. Wenn er die Absicht hat, diese Politik so weiterzuführen, dann ist Ende der Fahnenstange.»
Orban seinerseits betont heute gegenüber dem ungarischen Radio, er werde an seiner Kampagne festhalten, die sich auch gegen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stellt. Sollte Orban das tatsächlich machen, werde die Volkspartei ihn und seine Fidesz wohl aus der gemeinsamen Parteienfamilie rauswerfen, hält Brok explizit fest.
Innerparteiliche Fehde wiegt mehr als Medienfreiheit
Für Broke entscheidend ist, dass Orban nun offensichtlich daran ist, eine Linie zu überschreiten – und zwar nicht, weil dessen Regierung ein neues Gesetz verabschiedet hat, das die Medienfreiheit etwa noch stärker einschränkt oder den Rechtsstaat weiter beschädigt. Entscheidend ist vielmehr, dass Orban nun eine Kampagne gegen Parteifreund und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker lanciert hat.
Das jedenfalls macht der langjährige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok, gegenüber Radio SRF ganz deutlich: «Eine solche Attacke innerparteilich auf Juncker in dieser Art und Weise mit dem Plakat ist eine neue Situation.» Erst diese innerparteiliche Fehde könnte also der eine Tropfen zu viel sein.
Inzwischen ist er derjenige, der die extreme Rechte eigentlich erst richtig gross macht und ihnen die Argumente gibt
Für manche in der CDU ist er das auch. Zum Beispiel für Ingeborg Grässle. Die CDU-Politikerin sitzt gleich wie Brok ebenfalls seit Jahren im EU-Parlament und leitet dort den wichtigen Finanz-Kontrollausschuss: «Ich bin für den Ausschluss aus der Volkspartei. Ich glaube nicht, dass wir diese permanenten Grenzüberschreitungen, die es schon seit langem gibt, weiter tolerieren sollten.»
«Orban macht Rechtsextreme hoffähig»
Für Ingeborg Grässle ist also völlig klar: Der Bruch muss jetzt vollzogen werden. Und dabei sagt sie über sich selber: «Ich habe übrigens Orban viele Jahre hindurch verteidigt, weil ich immer ein gewisses Verständnis dafür hatte und ihm auch geglaubt habe, dass er sozusagen der Aufhalter der extremen Rechten ist. Aber inzwischen ist er derjenige, der die extreme Rechte eigentlich erst richtig gross macht und ihnen die Argumente gibt, mit denen die vollends hoffähig werden. Er gibt ihnen die Argumente gegen die Europäische Union. Und wir tolerieren das auch noch. Das geht nicht. Bei mir ist es am Ende der Fahnenstange angekommen.»
Auch der von Orban angegriffene Jean-Claude Juncker hat nach der neuesten Kampagne festgehalten, Orban habe in der Volkspartei nichts mehr verloren. Juncker ist zwar eine wichtige Stimme. Aber entscheidend dürfte sein, wie sich die deutsche CDU und die CSU positionieren werden – nach dem strategischen Dialog mit Orban.