Albrecht Broemme war von 2006 bis Ende 2019 Präsident des Technischen Hilfswerks (THW). Einer Organisation mit 1800 professionellen und 80'000 freiwilligen Helfern, einem Budget von 460 Millionen Euro und einer Top-Ausrüstung. Der Mann weiss, wovon er redet: «Früher konnte man sagen, das war ein Jahrhundertereignis. Wenn ich zähle, wie viele Jahrhundertereignisse ich schon erlebt habe, müsste ich schon 2000 Jahre alt sein.» Denn das nächste Hochwasser könne bereits im Herbst drohen.
Vor allem die Zahl der Toten gibt Broemme zu denken. Eine ähnliche Grössenordnung sei letztmals 1962 durch die Nordseeflut in Hamburg zu beklagen gewesen. Doch alles, was bisher gegolten habe, gelte heute nicht mehr. Selbst erfahrene THW-Experten, die im Unwettergebiet wohnten, seien völlig überrascht worden und hätten die Lage falsch eingeschätzt.
Vergiss alle bisherigen Erfahrungen. Es kann fünf oder zehn Mal so schlimm werden.
Broemmes Erkenntnis aus dem verheerenden Tief Bernd: «Man kennt Schmelzhochwasser, Flusshochwasser, Starkregenhochwasser. Man muss sich aber im Klaren sein: Vergiss alle bisherigen Erfahrungen. Es kann fünf oder zehn Mal so schlimm werden.» Was auch immer die Ursache sein möge, dies sei eine der wichtigsten Erkenntnisse.
Wissen, was im Ernstfall zu tun ist
Deutschland sei vielleicht für solche Ereignisse technisch gerüstet, sagt Broemme, aber nicht vorbereitet. Das führt zur Frage, die in diesen Tagen in Deutschland heiss diskutiert wird: «Wer ist schuld?». «Der Regen», sagt Broemme lakonisch. Doch wer ist schuld, dass die Warnkette nicht funktioniert hat, bis zu den einzelnen Leuten, die hätten fliehen müssen? «Es sind Menschen, die sich nicht vorstellen können, dass sie in Gefahr sind. Wir müssen eine Riesenaufklärungskampagne machen: Jeder Mensch muss wissen was zu tun ist, wenn die Sirene heult.»
Die Unwetterwarnungen der europäischen und deutschen Wetterdienste seien korrekt gewesen, an die Kreise und Kommunen weitergeleitet worden, so Broemme. «An dieser Stelle wird's diffus: Was haben die Kreise mit der Meldung gemacht, haben sie diese an die Bevölkerung weitergegeben, und wenn ja, wie?» Teils fuhr die Feuerwehr durch Dörfer und warnte, teils geschah dies nicht. Während in Japan jeder weiss, was bei einem Erdbeben zu tun ist, sei das Wissen wie im Krisenfall reagieren in Deutschland verloren gegangen.
Broemme veranschaulicht dies an einem plastischen Beispiel: «Sie liegen nachts im Bett und hören die Alarmanlage eines Autos. Was machen Sie? Der Sinn ist doch, dass Sie und die Nachbarn auf die Strasse gehen und schauen, ob da gerade ein Auto gestohlen wird.» Tatsächlich würde das aber keiner machen. «Man hofft, dass die Alarmanlage möglichst bald wieder ausgeht. Wir sind überflutet von Tönen – Hinweistönen, Alarmen etc. und reagieren nicht.»
Wie schlimm das Ausmass des Unwetters ist, zeigt sich an der Prognose, wann wieder einigermassen Normalität einkehren wird. Broemme schätzt: «Eintreten von Normalität definiere ich daran, dass man das Wasser aus der Leitung wieder trinken kann, Strom hat, um auch Wasser abkochen zu können und dass man wieder telefonieren kann. Das wird in einigen Gegenden noch vier Wochen dauern.»
Bis die Infrastruktur wiederhergestellt ist, werde es Jahre dauern. Und sehr viel mehr kosten, als heute prognostiziert: «Ich bin erstaunt über irgendwelche Summen, die schon genannt werden. Ich habe gelesen, dass Behörden von mindestens zwei Milliarden Euro Aufbaukosten für die Infrastruktur sprechen. Wenn ich mir die Schäden aber nur schon anschaue, kann ich mir vorstellen: 20 Milliarden kommt der Sache schon näher.»