Mehrere Hilfsorganisationen haben angekündigt, ihre Arbeit vor Ort einzustellen – obschon sich Afghanistan in einer der schwersten Krisen überhaupt befindet.
Auch in der Schweiz tut sich etwas: Ursula Läubli, Chefin der Sektion Zentral- und Nordasien bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit Deza, sagt: Die Lage in Afghanistan habe sich bereits vorher verschlechtert, aber der jüngste Entscheid der Taliban stelle eine massive Eskalation dar.
Wenn keine Frauen mehr in Hilfswerken arbeiten dürfen, können grosse Teile der afghanischen Bevölkerung nicht mehr erreicht werden.
«Diese bedroht die Nothilfe in Afghanistan, die die Bevölkerung gerade jetzt im Winter so bitter nötig hat.» Konkret heisst das: «Wenn keine Frauen mehr in Hilfswerken arbeiten dürfen, können grosse Teile der afghanischen Bevölkerung nicht mehr erreicht werden.»
Wie weiter?
Die Deza hat derzeit ein Team in Kabul, jedoch selbst keine lokalen Angestellten. Rund 30 Millionen Franken hat die Schweiz 2021 in Projekte in Afghanistan investiert – zum Teil via internationale Hilfswerke wie das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) oder das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) – zum Teil auch in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern. Wie es damit weitergehen soll, werde momentan evaluiert, sagt Läubli.
Vor Ort ist der Schweizer Lucien Christen. Der Mediensprecher für das IKRK spricht von einer angespannten Situation in der afghanischen Hauptstadt Kabul.
In den Strassen gebe es mehr Checkpoints und die Kolleginnen und Kollegen vom IKRK seien sehr beunruhigt. Denn: Die Ankündigungen der Taliban würden gegen fundamentale Menschenrechte verstossen und sie könnten katastrophale humanitäre Folgen haben. Der IKRK-Sprecher erklärt, dass über die Hälfte der Bevölkerung in Afghanistan – rund 24 Millionen Menschen – auf humanitäre Hilfe angewiesen sei.
Wichtige Rolle der weiblichen Helferinnen
Das IKRK unterstützt in Afghanistan viele Spitäler und bezahlt unter anderem die Löhne von rund 10'000 Personen im Gesundheitswesen. Ein Drittel davon sind Frauen, die allermeisten Afghaninnen. Wenn diese nicht mehr arbeiten dürften, sei das ganze Gesundheitssystem gefährdet. Zudem würden rund 400 Frauen direkt für das IKRK arbeiten, sagt Lucien Christen weiter.
Für unsere afghanischen Mitarbeiterinnen ist diese Situation sehr, sehr schwierig. Denn sie sind sehr engagiert bei ihrer Arbeit.
Auch Anna Bertschy, Sprecherin von Terre des Hommes berichtet von grosser Sorge – das Schweizer Kinderhilfswerk beschäftigt 167 afghanische Frauen – die vor allem als Hebammen arbeiten. Für die Mitarbeiterinnen bedeute dieser Entscheid, dass sie zu Hause bleiben müssten. «Sie können sich nicht mehr um afghanische Frauen in Not kümmern. Für sie ist diese Situation sehr, sehr schwierig. Denn sie sind sehr engagiert bei ihrer Arbeit.» Es entstünden zudem für die Betroffenen auch ganz persönliche Ängste, so Bertschy.
Druck auch im UNO-Sicherheitsrat
Trotzdem: Das IKRK und Terre des Hommes betonen, dass sie in Afghanistan bleiben und soweit möglich ihre Arbeit weiterführen wollen. Läubli von der Deza sagt, auch die Verhandlungen mit den Taliban sollten gemeinsam mit dem Dachverband der Nichtregierungsorganisationen und der internationalen Staatengemeinschaft weitergehen.
Auch im UNO-Sicherheitsrat wird sich die Schweiz mit Nachdruck für den Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen. In diesem Rahmen wird sie selbstverständlich auch die Situation in Afghanistan thematisieren.
Und: «Auch im UNO-Sicherheitsrat wird sich die Schweiz mit Nachdruck für den Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen. In diesem Rahmen wird sie selbstverständlich auch die Situation in Afghanistan thematisieren.» Ab 1. Januar ist die Schweiz Mitglied in diesem Gremium.
Man will also international Druck aufbauen, um so die Taliban vielleicht doch noch zum Einlenken bewegen.