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Neue Eskalation im Armenien/Aserbaidschan-Konflikt
Aus SRF 4 News vom 14.09.2022. Bild: Keystone
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Armenien und Aserbaidschan «Es wird versucht, militärisch Tatsachen zu schaffen»

Im seit Jahren ungelösten Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien sprechen wieder die Waffen. Seit Montag wurden wohl rund 100 Soldaten getötet. Meist geht es bei dem Streit um die Region Berg-Karabach – doch diesmal sind militärische Stellungen bei armenischen Städten offenbar Auslöser der Gewalt. Der Konflikt spitze sich wieder zu, sagt die Journalistin Silvia Stöber.

Silvia Stöber

Freie Journalistin

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Silvia Stöber ist freie Journalistin mit Spezialgebiet Osteuropa, Südkaukasus und Zentralasien. Sie berichtet u.a. auch für die ARD aus Armenien.

SRF News: Zuletzt war es Anfang August zu Gefechten zwischen aserbaidschanischen und armenischen Truppen gekommen. Wieso flammen die Kämpfe gerade jetzt wieder auf?

Silvia Stöber: Seit Ende 2020 kommt es in Wellen immer wieder zu Gefechten – sowohl in der umstrittenen Region Berg-Karabach wie am Grenzverlauf von Armenien und Aserbaidschan. Jetzt kommt dazu, dass die armenische Schutzmacht Russland bei ihrem Angriff in der Ukraine militärisch in Rücklage geraten zu sein scheint und weniger Nachschub nach Armenien gebracht werden könnte. Das verleitet die aserbaidschanische Seite offenbar dazu, militärisch gegen Armenien aktiver zu werden.

Die aktuelle Lage:

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Die Gewalt war am Montagabend ausgebrochen, bis Dienstagnacht starben laut Angaben beider Seiten rund 100 aserbaidschanische und armenische Soldaten bei Drohnen- und Artillerie-Angriffen. Nachdem in der Nacht auf Mittwoch eine angespannte Ruhe geherrscht hatte, wurde am Mittwochmorgen von neuem Beschuss berichtet. Laut armenischen Angaben gingen die Angriffe von aserbaidschanischer Seite aus. (Agenturen)

Beide Länder schieben einander die Schuld für den neusten Gewaltausbruch zu. Wie schätzen Sie dies ein?

Es spricht viel dafür, dass die Angriffe von Aserbaidschan ausgingen, denn zuerst wurden Orte in Armenien von Bomben getroffen. Aus Aserbaidschan war zu hören, dass verschiedene Kommandoposten in Armenien getroffen worden seien.

Es spricht vieles dafür, dass die Angriffe von Aserbaidschan ausgingen.

Aus Armenien wurden dagegen kaum militärische Erfolge gemeldet. Beides spricht eher dafür, dass der Angriff von Aserbaidschan ausging. Ebenso deuten die Reaktionen aus den USA und Frankreich darauf hin.

Welche Ansprüche hat Aserbaidschan in jenen Regionen, die es jetzt angegriffen hat?

Im Grunde geht es immer noch um Berg-Karabach. Aserbaidschan erachtet das Gebiet inzwischen als eigenes Territorium, bei dem Armenien nichts mehr dreinzureden hat. Doch aus armenischer Sicht brauchen die in Berg-Karabach lebenden Armenier Sicherheitsgarantien.

Aserbaidschan will Tatsachen schaffen und so seine Position bei den laufenden Verhandlungen stärken.

Jetzt will Aserbaidschan offenbar verhindern, dass Armenien noch irgendwelche Möglichkeiten hat, militärisch in Berg-Karabach einzugreifen, deshalb die Angriffe auf armenisches Grenzgebiet. Auch will Aserbaidschan seine Position in den laufenden Verhandlungen über den genauen Grenzverlauf stärken, indem Tatsachen geschaffen und gewisse strategisch wichtige Berghöhen eingenommen werden.

Schüsse an kirgisisch-tadschikischen Grenze

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Auch an der Grenze zwischen den beiden früheren Sowjetrepubliken Tadschikistan und Kirgisistan ist es am Mittwoch zu Schusswechseln gekommen. Der kirgisische Grenzschutz warf tadschikischen Sicherheitskräften vor, unzulässige Stellungen entlang der Grenze bezogen zu haben. Die tadschikische Seite erklärte, kirgisische Grenzschützer hätten grundlos ihre Posten beschossen. Berichte über Opfer gab es von keiner Seite. An der Grenze zwischen den beiden jeweils mit Russland verbündeten Ländern ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Konflikten gekommen. (Reuters)

Wieso kommt der Konflikt nicht zur Ruhe – trotz Friedensvereinbarung nach dem letzten grösseren Krieg 2020?

Aserbaidschan ist mit dem derzeitigen Stand nicht einverstanden, es will Berg-Karabach vollständig unter seine Kontrolle bringen. Folge davon könnte sein, dass die noch dort lebenden Armenier vollständig aus Berg-Karabach vertrieben werden.

In Armenien wird befürchtet, Aserbaidschan könnte seine Ansprüche militärisch durchsetzen.

Streit gibt es auch bezüglich der Transportwege zur aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan, die über armenisches Gebiet verlaufen würden. Das alles ist sehr kompliziert und löst auf armenischer Seite grosse Ängste aus, weil befürchtet wird, Aserbaidschan könnte seine Ansprüche militärisch durchsetzen.

Wie gross ist die Gefahr eines grösseren Kriegs aktuell?

Es ist wichtig, dass die Verhandlungen jetzt trotz allem weitergehen und Schritt für Schritt Lösungen erarbeitet werden: Aserbaidschan hat Anspruch auf die Souveränität seines Territoriums, zugleich müssen die in Berg-Karabach lebenden Armenier sicher dort leben können. Im besten Fall müsste eine internationale Sicherheitstruppe dafür sorgen – sonst drohen weitere Waffengänge.

Das Gespräch führte Vera Deragisch.

SRF 4 News aktuell vom 14.9.2022, 11:05 Uhr ; 

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