Ganz hinten in einem abgelegenen Tal in Südarmenien liegt der Kurort Dschermuk.
Die heissen Quellen und die schöne Landschaft haben schon zu Sowjetzeiten Gäste angelockt. Auch heute noch kommen Kurgäste und Touristen – respektive kamen.
Der 57-jährige Armen Tadevosjan hält sein Auto auf der zentralen Brücke in Dschermuk an, zeigt in die Ferne und sagt: «Sehen Sie den Bergkamm dort? Und die schwarzen Punkte darauf? Dort sitzen sie. Und ihnen gegenüber die Unsrigen.»
Mit «sie» meint er aserbaidschanische Truppen. Ihre Entfernung von der Stadt: knapp vier Kilometer.
Invasion der Aserbaidschaner
Tadevosjan erzählt, was in der Nacht auf den 13. September 2022 geschah: Aserbaidschanische Soldaten seien rund sieben Kilometer ins Landesinnere eingedrungen und hätten um Mitternacht begonnen, die Stadt und die Umgebung mit Artillerie zu beschiessen.
Aber auch Streumunition und Drohnen seien eingesetzt worden. Die Menschen – darunter zahlreiche Touristinnen und Touristen – versuchten in Panik zu fliehen oder suchten in den Kellern der Hotels und Sanatorien Zuflucht.
Nach zwei Tagen war alles vorbei. Der Ort aber blieb noch lange in den Rauch der brennenden Wälder gehüllt.
Ein kleines Skigebiet
Eigentlich ist man in Dschermuk daran, die alte Infrastruktur zu erneuern. Hotels sind saniert oder neu gebaut worden. Und es gibt sogar einen Sessellift und ein kleines Skigebiet. Der Lift ist an diesem Märztag sogar in Betrieb. Gäste sind aber nur wenige da.
Tadevosjan, der den Sessellift betreibt, zeigt auf den mit sulzigem Frühlingsschnee bedeckten Hang und sagt: «Wir haben zwei Pisten, aber die sind nicht präpariert, weil das Pistenfahrzeug beim Angriff im September beschädigt wurde. Aber es gibt Leute, die trotzdem Ski fahren.»
Denn auch der Lift wurde beschossen. Splitter der Geschosse rissen Löcher in die umliegenden Gebäude. Nur mit Glück wurde niemand verletzt: Alle waren schon weg.
Niemand habe mit einem solchen Angriff gerechnet, sagt Tadevosjan. An der Grenze seien unerfahrene 18-Jährige postiert gewesen. Sie hätten keine Chance gehabt.
Neue Entwicklung
Der Konflikt mit Aserbaidschan beschränkte sich bisher weitgehend auf die Region Berg-Karabach, die von beiden Seiten beansprucht wird. Doch Dschermuk gehört zur Republik Armenien. Der Angriff war eine neue Entwicklung.
Von aserbaidschanischer Seite heisst es, man habe lediglich auf armenische Provokationen reagiert – die Zeugnisse vor Ort sprechen eine andere Sprache.
Greifen sie wieder an?
Inzwischen ist in Dschermuk wieder so etwas wie Alltag eingekehrt. Die meisten Einwohner und Einwohnerinnen, die geflohen waren, sind zurück. Und auch Tadevosjan will bleiben.
Doch Gäste kommen kaum noch, die Hotels, der Sessellift – alle machen Verlust. Immerhin: Es gab wegen der Angriffe viel internationale Aufmerksamkeit und neu patrouillieren sogar zivile Beobachterinnen und Beobachter der EU in der Gegend.
Doch die aserbaidschanischen Truppen sind nah, die Stadt, die im Talkessel liegt, ist wie auf einem Präsentierteller. Tadevosjan meint deshalb mit Blick auf die Berggipfel: «Dort liegt jetzt noch Schnee. Doch wenn der Schnee schmilzt – greifen sie dann wieder an?»