Es war eine riesige Überraschung, als der schwerreiche russische Unternehmer Ruben Vardanyan letzten September in Berg-Karabach auftauchte und seine russische Staatsbürgerschaft abgab. Er hat zwar armenische Wurzeln, lebte aber seit 1985 in Russland und machte dort sein riesiges Vermögen.
Sehr schnell übernahm Vardanyan in der umstrittenen Kaukasusrepublik, die von Armeniern und Armenierinnen bewohnt wird, das Ruder. Die gewählte Regierung wurde entlassen, der Präsident trat in den Hintergrund.
Rätselraten über Vardanyans Motive
In Berg-Karabach setzten zwar viele ihre Hoffnung in den reichen und international gut vernetzten Oligarchen, der versprach, sich unermüdlich für das Gebiet einzusetzen – vor allem jetzt, wo die Region seit eineinhalb Monaten von der Aussenwelt abgeschnitten ist.
Doch viele fragten sich, was seine Motive sind, ist er doch bisher in Armenien nie als Politiker, sondern immer nur als Investor und spendabler Wohltäter in Erscheinung getreten. Zudem haftet seinem Vermögen ein Korruptionsverdacht an: Vardanyan war Chef der russischen Troika-Bank, die im internationalen Geldwäschesystem «Laundromat» eine zentrale Rolle gespielt haben soll.
In Aserbaidschan, das Berg-Karabach für sich beansprucht, rief sein Auftauchen gar Wut hervor. Präsident Ilham Alijew sagte, Vardanyan sei von Moskau dorthin geschickt worden, mit einer klaren Agenda.
Aus Moskau in den Kaukasus
Ist Vardanyan eine Marionette Moskaus? Er selber betont, er engagiere sich nur aus patriotischen Gründen und aus Sorge um das Schicksal der Region. Die Konfliktforscherin Emily Babakanian-Frazier meint, Vardanyan sei eng vernetzt mit der Machtelite des Kremls. Doch sie nimmt es ihm durchaus ab, dass er den Menschen in Karabach helfen will.
Aber er habe in Moskau einen Lebensstil eines Superreichen geführt, er sei an ein Leben im Ritz-Carlton gewöhnt. Nach Karabach zu ziehen, sei eine enorme Veränderung. Ausserdem: Es wäre nicht das erste Mal, dass in der armenischen Politik eine Marionette Moskaus auftauchen würde.
Dem armenischen Politologen Benjamin Poghosyan hingegen leuchtet nicht ein, dass Moskau Vardanyan nach Berg-Karabach geschickt haben soll. Er sagt: «Jede Führungsperson in Berg-Karabach, die nicht komplett verrückt ist, ist prorussisch.» Denn das Gebiet sei auf Gedeih und Verderb den russischen Truppen ausgeliefert.
Politische Karriere in Armenien?
Poghosyan, der dem Geschäftsmann ein echtes Interesse an Berg-Karabach attestiert, vermutet etwas anderes: Vardanyan plane, im armenischen Kernland politisch Karriere zu machen. Tatsächlich hat der Oligarch letztes Jahr in Armenien eine «zivilgesellschaftliche» Bewegung ins Leben gerufen und sich einer politischen Partei angeschlossen. Für eine politische Karriere in Armenien käme ihm sein Wirken in Berg-Karabach zugute.
Der russisch-armenische Oligarch als Konkurrent des armenischen Regierungschefs Nikol Pashinyan, der sich von Russland je länger, desto mehr distanzieren möchte? Das ist vielleicht tatsächlich ein Szenario für die Zukunft. Vorerst aber beteuert Vardanyan, er bleibe an der Seite der Menschen in Berg-Karabach.