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Sicherheitslage in Haiti ist prekär
Aus Echo der Zeit vom 07.08.2023. Bild: Keystone/Odelyn Joseph
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Armut und Kriminalität Deshalb dreht die Krisenspirale in Haiti weiter

Die Sicherheitslage in Haiti ist prekär. Vor rund einer Woche kündigten die USA an, alle Regierungsangestellten aus dem Land abzuziehen. Das Land kommt nicht zur Ruhe. Ein Überblick.

Beim verheerenden Erdbeben 2010 sind mehr als 200'000 Menschen gestorben. Vor zwei Jahren wurde der Präsident Jovenel Moïse ermordet. Fast die Hälfte der Bevölkerung leidet heute an Hunger. Und in vielen Regionen kämpfen kriminelle Banden um die Macht. Die jüngste Geschichte Haitis liest sich wie eine Aneinanderreihung von Katastrophen.

Aktuelle Situation: «Im Augenblick ist die Lage sehr schwierig. Die wichtigste politische Kraft ist eine Ansammlung von etwa 200 kriminellen Banden. Politische Ordnung gibt es noch in rudimentärer, aber nicht mehr in legaler Form», so Oliver Gliech. Der Lehrbeauftragte am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin erklärt, dass in Haiti schon seit längerem Wahlen hätten stattfinden müssen. Das ist aber nicht der Fall. «Es gibt noch eine Regierung, aber im Prinzip ist sie auch nicht mehr legal an der Macht.»

USA wollen Regierungspersonal aus Haiti abziehen

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Washington D.C. hat Ende Juli seine Reisewarnung für Haiti aktualisiert und mitgeteilt, bis auf das Notfallpersonal alle US-Regierungsangestellten sowie deren Familien aus dem Karibikstaat abzuziehen. US-Bürgern wird «aufgrund von Entführungen, Kriminalität, Unruhen und schlechter medizinischer Versorgung» dringend davon abgeraten, nach Haiti zu reisen. Wer sich bereits im Land aufhalte, solle «so schnell wie möglich» mit kommerziellen oder privat verfügbaren Transportmitteln ausreisen, so eine Meldung auf der Webseite des US-Aussenministeriums.

Vergangenheit: Für Gliech hat die aktuelle Situation viel mit der Geschichte des Landes zu tun. Haiti wurde 1804 als erstes Land Lateinamerikas unabhängig. Zuvor hiess die französische Kolonie Saint-Domingue. «Ausgelöst von der Französischen Revolution hat es einen Aufstand der schwarzen Sklaven gegeben», erklärt der Experte für Lateinamerika.

Die Aufständischen kamen ursprünglich aus komplett verschiedenen Ländern in Afrika. «Nachdem sie die Macht übernommen hatten, war schlicht und ergreifend keine Basis für gemeinsame Institutionen. Es fehlten gemeinsame Traditionen. Das Land war von Anfang an fragmentiert und politisch instabil», fasst Gliech zusammen. Die farbige Oberschicht, die von weissen Pflanzern und schwarzen Frauen abstammte und die den Grossteil an Reichtum besass, wollte mit der schwarzen Bevölkerung wiederum nicht teilen. «Es gab einen ethnischen Gegensatz. Der hat sich bis heute gehalten.»

Gespaltene Gesellschaft: «Haiti existierte im Grunde nur verstreut in kleinen Gemeinden», meint der Lateinamerika-Kenner. Bei der Auflösung der Plantagen kam es zu keiner Verschmelzung der Gesellschaft. Die Leute blieben verstreut und verschiedene kleine Machthaber gewannen an Einfluss. Diese mobilisierten die Bauern für sich. Es kam zu Feindseligkeiten unter den Eliten. Die Oberschicht habe sich gegenseitig nie als Partner wahrgenommen, sondern im militärischen Sinne als Feinde, so Gliech.

Ein Toyota-Pick-up auf dem mehrere bewaffnete Polizisten sitzen.
Legende: Einsatzkräfte patrouillieren in den Strassen von Port-au-Prince, nachdem Bandenmitglieder versucht haben, eine Polizeistation anzugreifen. (Bild vom 25. April 2023) REUTERS/Ralph Tedy Erol

Aussicht: Damit Haiti aus der aktuellen Krise herauskommt, müssten zunächst die Banden bekämpft werden. «Das geht nur gewaltsam. Aber leider sind sie auch mit der Polizei verflochten», weiss der Lateinamerika-Experte. «Im Grunde geht nur eine Intervention von aussen, die auch von der verbleibenden Regierung und von der Bevölkerung akzeptiert wird.» Kenia hat beispielsweise angeboten, im Namen der UNO Polizeieinheiten zu entsenden.

Ein massgeblicher Faktor für eine friedliche Zukunft in Haiti: die Bekämpfung der Armut, die laut Experte Gliech eine wichtige Grundlage für die politische Instabilität sei. «Eine Bevölkerung, die immer nur von der Hand in den Mund lebt und täglich mit dem Überleben beschäftigt ist, kann sich natürlich auch nicht politisch engagieren.» Stichwort: ökonomische Entwicklung. «Und das geht aber nur, wenn das Land ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit garantiert und nicht jeder Investor fürchten muss, dass er dort gleich von irgendwelchen Kriminellen überfallen wird», sagt Gliech.

Echo der Zeit, 07.08.2023, 18:00 Uhr ; 

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